Sitzung der AG Kirchen in Europa auf dem 8. Petersburger Dialog, St. Petersburg, 30. September – 3. Oktober 2008

Die Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ hat sich 2008 mit der Frage befasst, welche Impulse die Kirchen zur Orientierung der Gesellschaft in einer sich immer rascher wandelnden Welt geben können.

Im Blick auf das im Hauptthema „Russland und Deutschland in der globalisierten Welt – Partner in der Modernisierung“ angesprochene Phänomen der Globalisierung haben wir uns dabei zunächst mit den Folgen der weltweiten Migrationsströme befasst. Während dieses Phänomen in Russland vor allem ein innerstaatliches ist, verzeichnet Deutschland seit Jahren einen kontinuierlichen Zustrom ausländischer Immigranten, darunter viele aus Russland. Wir haben über kirchliche Initiativen zur Integration der Migranten gesprochen und dabei verdeutlicht, dass aus christlicher Sicht jeder „Fremde“ unserer Fürsorge bedarf. Wir waren uns einig, dass die Aufgabe der Kirchen nicht allein in der Hilfe bei der Lösung der sozialen Probleme der Migranten besteht, sondern auch darin, ihre kritische Stimme gegenüber den Ursachen der Migration zu erheben. Eine der Hauptursachen sind kriegerische Auseinandersetzungen, die aus unserer Sicht niemals als ein Mittel der Machtpolitik eingesetzt werden dürfen, wie es zuletzt im Kaukasus und zuvor auf dem Balkan der Fall war.

Ein zweites Thema in unserer Arbeitsgruppe waren die sozialethischen Herausforderungen im Blick auf die Generationengerechtigkeit. Wenn Russland und Deutschland im Hauptthema des diesjährigen Petersburger Dialogs als „Partner in der Modernisierung“ bezeichnet werden, so kann es dabei aus Sicht der Kirchen nicht nur um Modernisierung im Sinne technischer Neuerungen gehen. Vielmehr muss in diesem Zusammenhang die grundsätzliche Frage nach der Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften gestellt werden. Um diese zu sichern, ist ein gerechter Ausgleich zwischen den Generationen erforderlich. Die heutige Generation muss nicht nur Verantwortung für die ältere Generation übernehmen, sondern vorausschauend auch für künftige Generationen. Dies hat nicht nur Konsequenzen im Blick auf unsere sozialen Sicherungssysteme, sondern muss sich auch im Bereich der Klimapolitik zeigen. Die christlichen Kirchen unterstützen einen entsprechenden Bewusstseinswandel durch ihr Eintreten für die Bewahrung der Schöpfung.

Um die Zukunftsfähigkeit unserer Gesellschaften ging es auch im dritten Themenkomplex, der von uns erörtert wurde: der Bedeutung der Familie. Wenn das Zusammenleben mehrerer Generationen in einer Familie als Erfahrungshorizont fehlt, wird das Plädoyer für Generationengerechtigkeit eine abstrakte Forderung bleiben. Die Bedeutung der Familie für die Zukunft der Gesellschaft kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Sie ist nicht nur eine Keimzelle des christlichen Glaubens, sondern auch ein Lernort mitmenschlicher Solidarität und eine Quelle, aus der grundlegende Werte des menschlichen Zusammenlebens geschöpft werden. Als Kirchen fordern wir von den Politikern daher nachdrücklich Maßnahmen zur Unterstützung der Familien in unseren Gesellschaften.

Wenn wir als Vertreter der Kirchen unsere Stimme in gesellschaftspolitischen Fragen erheben, wollen wir damit nicht direkt politisch handeln, wohl aber den Boden für politisches Handeln bereiten. Es geht uns nicht darum Politik zu machen, sondern Politik möglich zu machen, indem wir an die ethischen Grundlagen der Politik erinnern. Diese bauen auf einem Verständnis der Würde des Menschen auf, das wesentlich durch das christliche Menschenbild genährt wurde. Wenn wir im Blick auf unterschiedliche Politikfelder daran erinnern, so geschieht dies in der Überzeugung, dadurch unseren spezifischen Beitrag zum Dialog zwischen Russland und Deutschland zu leisten.