„Totgesagte leben länger“ titelt das ZDF auf heute.de im Dezember 2014 über den Petersburger Dialog. Der Autor des Beitrags, ZDF-Reporter Dietmar Schumann, hatte an einer Tagung der Arbeitsgruppe Medien in Sotschi teilgenommen – und war mit überraschend positiven Eindrücken zurückgekehrt. Nicht, weil in der Runde deutscher und russischer Journalisten zur aktuellen Situation Einigkeit herrschte, sondern weil es eine lebendige, kontroverse und aufrichtig besorgte Diskussion gegeben hatte.
2014 wurde mehr denn je deutlich: Die Arbeitsgruppen sind das Rückgrat des Petersburger Dialogs. Mit ihren Themen und Teilnehmern spiegeln sie die gesamte Breite der zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschen und Russen wider. Vor dem Hintergrund der politischen Spannungen und der Absage der Dialog-Jahrestagung schien das Bedürfnis aller Teilnehmer, sich untereinander auszutauschen, dabei dringlicher denn je. Aus Ratlosigkeit über das Verhalten der Gegenseite dürfe keine Sprachlosigkeit werden, so das Fazit des Journalisten Dietmar Schumann aus der AG-Medien-Sitzung: „Die Menschen, die Zivilgesellschaften beider Länder, müssen weiter in Kontakt bleiben. Auch wir Journalisten, Deutsche und Russen, müssen weiter streiten und miteinander reden können. Gerade auch im Petersburger Dialog, den man schon tot wähnte. Doch Totgesagte leben offenbar länger.“
Dass der Petersburger Dialog lebt und aktiv ist, zeigten die 2014 wieder zahlreich durchgeführten Tagungen der acht Arbeitsgruppen. In der Öffentlichkeit weniger wahrgenommen als das Plenum des Petersburger Dialogs, illustrierten sie in diesem Jahr umso eindringlicher, was den Kern und den Wert der Dialog-Arbeit ausmacht: Langjährig aufgebaute Kontakte, die konstruktive Zusammenarbeit an konkreten Projekten und eine gewachsene Vertrauensbasis konnten bewirken, dass in nahezu allen Arbeitsgruppen der Gesprächsfaden trotz der Absage des 14. Petersburger Dialogs erhalten blieb.

Dialog-Veranstaltung in Leipzig: „Zivilgesellschaft und Friedensbemühungen“

Mit der thematischen Dialog-Veranstaltung Ende April in Leipzig sollte ein sichtbares Zeichen gegen die drohende Sprachlosigkeit gesetzt werden. Angesichts der Absage der geplanten deutsch-russischen Regierungskonsultationen stellte sich für den Petersburger Dialog die Frage, was ein zivilgesellschaftlicher Dialog gerade in politischen Krisenzeiten leisten kann. Sollte überhaupt getagt werden, wenn ja, in welcher Form? Gespräche dürften nicht zum Selbstzweck verkommen, erklärte der Vorsitzende des deutschen Lenkungsausschusses Dr. h.c. Lothar de Maizière: „Dialog […] stellt sich der Kritik und hält unterschiedliche Positionen aus. Dialog so verstanden bedeutet gelebte Friedensarbeit“. Und so war die Veranstaltung in Leipzig alles andere als „business as usual“, was auch das große Interesse seitens der Öffentlichkeit demonstrierte: Über 250 Gäste und Medienvertreter nahmen an der Podiumsdiskussion zum Thema „Zivilgesellschaft und Friedensbemühungen von 1914 bis heute“ teil. Am Ende stand der Appell, dass ein offener Dialog und breite Beziehungen zwischen den Menschen unserer Länder langfristig friedensstiftend wirken könnten und nicht aufs Spiel gesetzt werden sollten.

Die Arbeitsgruppen – Rückgrat des Petersburger Dialogs

Es gab in diesem Jahr wohl kein Treffen auf bilateraler Ebene, bei dem nicht unweigerlich über die Ukraine-Krise und deren Auswirkungen gesprochen wurde, selbst dann, wenn das Thema nicht vordergründig auf der Tagesordnung stand. Zu sehr bewegte es die Gemüter aller Teilnehmer beider Seiten.
Offen, aber eher konfrontativ fiel der Austausch der unterschiedlichen Positionen zur Einschätzung der Ukraine-Krise in der Arbeitsgruppe Politik aus, die von Jens Paulus und Wjatscheslaw Nikonow geleitet wird. Deutsche und russische Politiker und Abgeordnete diskutierten Ende März in Moskau über die Auswirkungen der Krise und Sanktionen auf die Beziehungen zwischen der EU und Russland.
Die Arbeitsgruppe Wirtschaft, koordiniert von Dr. Eckhard Cordes und Waleri Golubjew, kam 2014 zu zwei Tagungen zusammen. Eine Tagung Anfang März auf der Halbinsel Yamal war dem Thema „Die Entwicklung der fossilen Weltenergiemärkte in den nächsten 20 Jahren und ihre Auswirkung auf die deutsch-russischen Beziehungen“ gewidmet. Im Oktober fand eine Fortsetzung der Tegernsee-Tagung vom Vorjahr statt, in diesem Jahr unter Beteiligung von EU-Energiekommissar Günther Oettinger, der per Skype zugeschaltet wurde.
Eine Tagung der Arbeitsgruppe Zivilgesellschaft, die von Dr. h.c. Gernot Erler (ab Juli 2014) und Michail Fedotow koordiniert wird, kam 2014 nicht zustande, dennoch fand auf russische Initiative unter der Ägide der Arbeitsgruppe und in Kooperation mit der Friedrich-Ebert-Stiftung Moskau Anfang Dezember eine deutsch-russische Konferenz in der Gedenkstätte Perm 36 statt. Die Studierenden und jungen Wissenschaftler setzten sich mit dem Thema „Lehren des 20. Jahrhunderts: Totalitarismus und Demokratie“ auseinander.
Neben wissenschaftlichen Fachtagungen im Laufe des Jahres 2014 und einer deutsch-russischen Sommerschule zum Thema WTO-Recht im Rahmen der Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft im September wurden bei der Tagung im Dezember in Sotschi vor allem die Schwerpunkte der Arbeit für 2015 festgelegt: Zusammenarbeit im Rechtsbereich sowie im Gesundheitswesen, Eurasische Union und Europäische Union, Transportsysteme und Ökologie. Im Anschluss an die Sitzung in Sotschi führte die Arbeitsgruppe, die von Prof. Dr. Wilfried Bergmann und Prof. Andrej Klemeschew geleitet wird, ein Fachseminar zum Thema „Völkerrecht“ durch.
Die Arbeitsgruppe Medien organisierte im Rahmen einer Studienreise für russische Journalisten Anfang Juli 2014 einen Fachaustausch zum Thema „Regionale Medien“ in Baden-Baden. Aus aktuellem Anlass stand jedoch die Diskussion um die Berichterstattung über die Ukraine-Krise zentral mit auf der Tagesordnung der Arbeitsgruppe, die von Johann Michael Möller und Witali Ignatenko koordiniert wird. Ein offener, kontroverser und produktiver Meinungsaustausch in der Arbeitsgruppensitzung Mitte Dezember führte zum „Appell von Sotschi“: In der gemeinsamen Erklärung rufen deutsche wie russische Teilnehmer der AG Medien zu „verbaler Abrüstung“ und einer Versachlichung der öffentlichen Debatte auf, zu der Journalisten beider Seiten beitragen sollten.
Die Arbeitsgruppe Kultur, die von Prof. Dr. h.c. mult. Hermann Parzinger und Prof. Michail Piotrowski koordiniert wird, führte 2014 zwei Workshops zum Dachthema „Ausstellen“ durch: Das Seminar Mitte Oktober in Berlin behandelte am Beispiel des Humboldt-Labs Dahlem Fragen der Interpretation von Objekten in Ausstellungen, der Umgang mit Zielgruppen und Publikumsevaluierung sowie Transparenz in der kuratorischen Arbeit. Beim Treffen in St. Petersburg Anfang Dezember wurde der Erfahrungsaustausch der deutschen und russischen Experten zu Fragen der musealen Repräsentation kultureller Identität anschaulich anhand des 300-jährigen Jubiläums der Kunstkammer vertieft und mögliche Kooperationen besprochen.
Nachdem sich die Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt unter Leitung von Prof. Alexander Rahr und Natalja Tscherkessowa im März 2014 in Tambow dem Thema der „Mittelstandsförderung in den Regionen“ gewidmet hatte, standen die folgenden zwei Sitzungen im Juni in Radebeul bei Dresden und im Dezember in Potsdam vor allem unter dem Eindruck der schweren Krise in den europäisch-russischen Beziehungen. Anlässlich des 25. Jahrestags des Mauerfalls widmete sich die XXX. Jubiläumssitzung der Zukunftswerkstatt in Potsdam dem Thema „Verhinderung einer neuen Mauer in Europa“, wobei sich gerade auch unter den russischen Teilnehmern eine teils kontroverse Diskussion zur Beurteilung der aktuellen Lage entspann.
Die Arbeitsgruppe Kirchen in Europa tagte im Juni 2014 in St. Petersburg zum Thema „Religionsfreiheit in demokratischen Gesellschaften“ und förderte außerdem den Austausch junger deutscher und russischer Theologiestudierender. 2014 führten zwei Studienreisen unter anderem an die orthodoxe Tichon-Universität in Moskau sowie die Geistliche Akademie St. Petersburg. In einer gemeinsamen Erklärung setzten sich die Verantwortlichen der AG Kirchen in Europa Dr. Johannes Oeldemann, Propst Siegfrief Kasparick und Archimandrit Filaret angesichts der Absage des 14. Petersburger Dialogs Ende Oktober in Sotschi für eine Fortführung der Arbeit im Rahmen des Dialogs ein.

Junge Generation im Petersburger Dialog

Neben der immer stärkeren Einbindung junger Teilnehmer in die verschiedenen Arbeitsgruppensitzungen während des gesamten Jahres tagte im April 2014 bereits zum zweiten Mal das Jugendforum des Petersburger Dialogs. Etwa 50 deutsche und russische Studierende verschiedener Fachbereiche diskutierten in Arbeitsgruppen und im Plenum unter dem Motto „Partnerschaft der Ideen“. Ermöglicht wurden außerdem Gespräche mit Experten und Mitgliedern des Petersburger Dialogs aus unterschiedlichen Bereichen, darunter mit dem Vorsitzenden des Rates für Menschenrechte und Zivilgesellschaft Michail Fedotow, dem Stellvertretenden Leiter des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats Archimandrit Filaret, dem Stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden von Gazprom Waleri Golubjew sowie dem Ersten Stellvertretenden Generaldirektor der Nachrichtenagentur ITAR-TASS Michail Gusman. Mitte Dezember fand ein deutsch-russisches Jugendseminar mit je zwanzig deutschen und russischen Teilnehmern in Sotschi statt, nachdem sich ehemalige Teilnehmer der bisherigen Jugendforen in einer Erklärung an die Lenkungsausschüsse dafür eingesetzt hatten, den Dialog der jungen Generation gerade in der schwierigen politischen Situation weiterhin zu unterstützen.
In Kooperation mit der Konrad-Adenauer-Stiftung und dem Deutschen-Russischen Forum e.V. brachte der Petersburger Dialog Ende August etwa zwanzig deutsche und russische Teilnehmer im Rahmen einer Jugendbegegnung in Berlin und Wünsdorf/Zossen zusammen. Anlässlich des 20. Jahrestags des Abzugs der Westgruppe der Sowjetischen Truppen aus Deutschland diskutierten die jungen Historiker, Filmemacher und Politologen am historischen Ort zum Thema „Erinnerungskultur und Zukunftsaufgabe Frieden“.

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