Sitzung der AG Kirchen in Europa im Rahmen des 12. Petersburger Dialogs, Moskau, 14.-16. November 2012

Die Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ hat in diesem Jahr – in Anknüpfung an das Gesamtthema des Dialogs – über Chancen und Risiken der Informationsgesellschaft aus christlicher Sicht diskutiert. Im Mittelpunkt stand dabei die Frage, welchen Einfluss die neuen Medien auf den Menschen haben, der sich ständig zwischen virtueller Welt und Realität bewegt. In dem sehr lebendigen und offenen Gespräch, an dem Vertreter der orthodoxen, der katholischen und der evangelischen Kirche aus Russland und Deutschland teilnahmen, wurde hervorgehoben, dass inzwischen – zumindest für die jüngere Generation – auch die virtuelle Kommunikation zur Realität gehört. Von daher sollte man es vermeiden, einen Dualismus zwischen virtueller und realer Welt zu konstruieren. Beide Welten greifen ineinander und überlagern sich.

Im Rahmen dieser Gesamtthematik wurde über die Darstellung von Kirche und christlichem Glauben in den neuen Medien diskutiert. Hier ging es unter anderem um die Wahrnehmung, dass in den Medien bisweilen ein negatives Bild der Kirchen vermittelt wird. Als aktuelle Beispiele wurden die Berichterstattung über die Aktion einer Punk-Band in der Moskauer Erlöserkathedrale und die öffentliche Debatte über das Titelblatt der Zeitschrift „Titanic“ mit dem Papst genannt. Wenn in den Medien über kirchliche Themen berichtet wird, geschieht das oft mit einem Tenor unterschwelliger Kritik, zum Teil aber auch offener Polemik. Das Internet leistet solcher, zum Teil ungerechter und überzogener Kritik durch die Möglichkeit der anonymen Meinungsäußerung Vorschub. Dass die neuen Medien damit in der Gefahr stehen, die Realität zu verzerren und die öffentliche Meinung zu beeinflussen, wurde von den Mitgliedern der Arbeitsgruppe als Problem wahrgenommen, auch wenn die damit verbundenen Gefahren durchaus unterschiedlich bewertet wurden. Auf der anderen Seite bieten die Medien, gerade auch das Internet, Möglichkeiten für unverzichtbare kritische Stimmen, die die Gesellschaft als Ganze voranbringen.

In den Gesprächen der Arbeitsgruppe wurde in Erinnerung gerufen, dass die Kirchen es in ihrer Geschichte immer wieder vermocht haben, neue Kommunikationsmittel für die Verkündigung der Frohen Botschaft Jesu Christi zu nutzen. Das deutlichste Beispiel dafür sei die Nutzung des neu aufkommenden Buchdrucks in der Reformationszeit. Auch heute bieten die neuen Medien den Kirchen die Chance, ihre Botschaft an die Menschen zu vermitteln – und das nicht nur an diejenigen, die als gläubige Christen ohnehin schon in Verbindung mit der Kirche stehen, sondern auch und gerade an diejenigen, die noch nie ihren Fuß über die Schwelle einer Kirchentür gesetzt haben.

Entscheidend für eine positive Nutzung moderner Kommunikationsplattformen ist aus Sicht der Arbeitsgruppe, dass bestimmte Kriterien beachtet werden, um die christliche Botschaft glaubwürdig zu vermitteln und sie auch konstruktiv in den gesellschaftlichen Diskurs einzubringen. Dazu zählen Wahrheit und Wahrhaftigkeit, vor allem aber Authentizität und Aufrichtigkeit. In der Vermittlung dieser Kriterien sehen die Mitglieder der Arbeitsgruppe einen möglichen Beitrag der Kirchen zu medienethischen Fragestellungen. Gerade weil die Kommunikation in den sozialen Netzwerken nicht mehr auf einer Einbahnstraße vom Sender zum Empfänger verläuft, ist es zudem von entscheidender Bedeutung, dass die Kirchen in den neuen Medien nicht nur als Institutionen erscheinen, sondern durch konkrete Menschen, die glaubwürdig und authentisch vermitteln, welches sinnstiftende Potenzial die christliche Botschaft enthält.

Den Gefahren der neuen Medien, so lautete das Fazit der Arbeitsgruppe, wird man nicht durch Zensur oder Verbote begegnen können, sondern nur dadurch, dass man die Menschen ermutigt und befähigt, die Medien kritisch und auch selbstkritisch zu nutzen. Daher sieht es die Arbeitsgruppe als eine zentrale Aufgabe der Gesellschaft an, den jungen Menschen eine entsprechende Medienkompetenz zu vermitteln, die es ihnen ermöglicht selbst abzuwägen, was richtig und gut und welche Inhalte verfälschend und schädlich sind. Erforderlich ist nicht eine Medienzensur, sondern eine Medienethik, die durch eine entsprechende Bildung und Erziehung in Familien und Schulen, aber auch durch die Kirchen und andere gesellschaftliche Gruppierungen in allen Gesellschafts- und Altersschichten vermittelt werden muss. Die Arbeitsgruppe begrüßt es ausdrücklich, dass die Medienethik auch von anderen Arbeitsgruppen thematisiert wurde und hofft auf eine stärkere Zusammenarbeit in diesem Bereich.

Das Internet ist heute nicht nur ein Medium, sondern ein sozialer Lebensraum. Wenn die Kirchen den Menschen nahe sein wollen, müssen sie sich in den Lebensräumen der Menschen bewegen – und damit heute auch in den neuen Medien. Diese werden nicht die persönliche Begegnung ersetzen können, aber sie können Begegnung und Kommunikation ermöglichen. Darin liegt eine Chance, die aus Sicht der Arbeitsgruppe von den Kirchen in Zukunft noch stärker genutzt werden sollte.

Um die Thematik weiter zu vertiefen, vereinbarte die Arbeitsgruppe zum Abschluss, eine deutsch-russische Studientagung zum Thema „Kirche und neue Medien“ zu organisieren, die voraussichtlich im April 2013 stattfinden wird.

Moskau, 14.-16. November 2012