Grenzen der Freiheit und die Verantwortung in der Informationsgesellschaft. Sitzung der AG Zukunftswerkstatt, Moskau, 17. November 2012

Im ersten Teil der Sitzung warfen in ihrer Einführung die Ko-Vorsitzenden der Arbeitsgruppe, Natalja Tscherkessowa und Alexander Rahr, die Frage auf, inwiefern das Internet als ein sich selbst regulierendes System gelten kann oder ob es einer Steuerung bzw. Kontrolle bedarf, soweit diese möglich ist. Sie betonten die vielfältigen Möglichkeiten, die das Internet als Raum der Vernetzung, des Austauschs, der Geschäftemacherei und des Protests gegen Missstände bietet, wiesen jedoch ebenso auf die Gefahren hin, die mit dem Internet und der sich archaisch entwickelnden Informationsgesellschaft in Verbindung gebracht werden.

Im anschließenden Impulsvortrag betonte Philipp Mißfelder MdB (CDU) die Bedeutung des Internets als politisches Instrument, das jedoch in seiner Wirkung nicht überschätzt werden sollte. Die rasante Geschwindigkeit der Entwicklung des Internets und seine fehlende Kontrollierbarkeit würde Politiker jedoch zum Teil beängstigen, was in einigen Ländern zu repressiven legislativen Maßnahmen seitens der Regierungen im Umgang mit dem Internet führte. Er wies weiterhin auf einige negative Aspekte des Internets wie Mobbying, Verleumdung und die schnelle, kritiklose Weiterverbreitung im Schutze der Anonymität hin, denen schwer rechtlich beizukommen sei. Da diese Phänomene jedoch auch jenseits des Internets anzutreffen seien, riet er abschließend zu einem gelassenen, aber verantwortungsvollen Umgang mit dem Internet.

Bei seinem Blick auf die Informationsgesellschaft aus russischer Sicht verwies Ilja Ponomarjow, einer der bekanntesten Organisatoren der Proteste gegen Putin, zunächst auf positive Entwicklungen in seinem Land. Er nannte hierbei die aktive staatliche Förderung der Informationstechnologie wie beim Skolkowo-Projekt, die erfolgreiche Entwicklung russischer IT-Unternehmen wie Yandex und Kaspersky-Labs, sowie das Projekt Duma 2.0, das die Arbeit der Staatsduma transparenter mache und den erfolgreichen Kampf gegen Korruption im Internet. Dieses sei zum realen Faktor der russischen Politik geworden, wobei der Staat zunehmend mit gesetzlichen Verboten so genannter die Öffentlichkeit gefährdender Webseiten reagiere. Er kritisierte, dass im Internet viele wichtige Themen wie die Gesundheitsreform und Probleme der Kommunalwirtschaft keine Rolle spielten und das Internet viele Menschen von der realen Politik ablenkten würde, was sich an der mangelnden Wahlbeteiligung bei den russischen Regionalwahlen im Oktober zeigte.

Die anschließende Diskussion war zunächst davon geprägt, dass die russischen und die deutschen Teilnehmer unterschiedliche Herangehensweisen zum Internet hatten: So begegnete die russische Seite der rasanten Entwicklung der Informationsgesellschaft tendenziell eher skeptisch, während die deutsche eher die Chancen und die Unersetzlichkeit des Internets hervorhob. Laut Ingo Mannteufel (Hauptabteilungsleiter Osteuropa und Leiter der Russischen Redaktion, Deutsche Welle) sei das Internet eine riesige Chance für gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung. Darüber hinaus fänden Informationen immer ihren Weg, eine vollständige Kontrolle sei demnach unmöglich, Verbote zwecklos. Er betonte in diesem Zusammenhang die überragende Bedeutung der Aneignung des verantwortungsvollen Umgangs mit modernen Medien, was allgemeine Zustimmung fand.

Im weiteren Verlauf wurde die Verknappung von Inhalten aufgrund der Kommerzialisierung des Internets kritisiert. Unterhaltung werde zunehmend wichtiger als Informationen, optische Reize ersetzten vielmals Inhalte. In diesem Zusammenhang wurde auch auf das schwieriger werdende Umfeld der traditionellen Medien hingewiesen. Dr. Klaus Wehmeier (Stellv. Vorsitzender des Vorstands, Körber-Stiftung) betonte dabei, dass die traditionelle Ein-Weg-Kommunikation verschwinde, die Zukunft gehöre der Mehr-Weg-Kommunikation. Schließlich waren sich alle Teilnehmer darin einig, dass vom Internet selbst keine Entwicklungen ausgingen, sondern das menschliche Tun lediglich vom Internet beschleunigt wird.

Schließlich warf die Diskussion einige offene Fragen auf. So ist noch nicht absehbar, ob und wie Internet und soziale Netzwerke zukünftig die Weltordnung verändern würden. Gibt es eine Abkehr vom Prinzip der staatlichen Souveränität hin zu einer globalen humanistischen zivilgesellschaftlichen Ordnung? Bedeuten starke Internetgesellschaften sogleich eine globale Durchsetzung liberaler Werte und der Demokratie oder besteht auch die Gefahr der weiteren Radikalisierung von Randgruppen?

Zum Ende der ersten Sitzung bekräftigte die Arbeitsgruppe den Willen, das Thema Internet weiter zu begleiten und zu vertiefen. Man wolle sich außerdem dafür einsetzen, dass der Medienwandel in Deutschland und Russland ein zukünftiges Thema im Rahmen des Petersburger Dialogs werden sollte.

Die zweite Sitzung der Zukunftswerkstatt stand im Zeichen des Fußballs. Die Teilnehmer waren sich einig, dass die Vorbereitungen auf die Fußballweltmeisterschaft 2018 die nähere Zukunft Russlands wirtschaftlich und gesellschaftlich prägen werde, wobei laut Ernst Tanner (Geschäftsführer der Nachwuchsabteilung, FC Red Bull) entscheidende Weichenstellungen bereits heute erfolgen müssten. Die Weltmeisterschaft könne wichtige Impulse für den Massentourismus, die Städteentwicklung, große Infrastrukturprojekte und die Modernisierung der russischen Wirtschaft geben. Daraus ergäben sich vielfältige Möglichkeiten auch für die deutsche Wirtschaft, insbesondere für den Mittelstand.

Das sportliche Großereignis bietet Russland zudem die Chance zur positiven Außendarstellung und Imagepflege. Der ehemalige Fußballprofi Lutz Pfannenstiel verwies in diesem Zusammenhang auf sprachliche Barrieren, die Gewinnung von Freiwilligen und Gastfreundlichkeit als zu bewältigende Herausforderungen. Weitere Teilnehmer ergänzten das Fanverhalten, Logistik, Bekämpfung der Korruption, sowie die Entwicklung der russischen Fußballliga und die Nachwuchsförderung.

Die Teilnehmer waren sich darin einig, dass Russland von den Erfahrungen Deutschlands bei der Organisation der Fußball-WM 2006 profitieren könne. Tillmann Meuser begrüßte dabei die kürzlich auf der Jahrestagung des Deutsch-Russischen Forums von den nationalen Fußballverbänden unterzeichnete Kooperationsvereinbarung, die es jetzt mit Leben zu füllen gilt. Neben dem zukünftigen Abbau des Visa-Regimes zwischen Russland und der EU wurde folglich auch die konkrete Ausgestaltung der deutsch-russischen Zusammenarbeit bei der Organisation der WM als offene Frage identifiziert. Die Teilnehmer regten dabei eine Initiative an, die Vertreter von Verbänden mit Fanvereinigungen beider Länder, aber auch der deutschen und russischen Sicherheitsbehörden zusammenbringen sollte und sahen darin gegebenenfalls auch eine zukünftige Aufgabe des Petersburger Dialogs.

Insgesamt kann auf eine angeregte und konstruktive Diskussion in sehr kooperativer Atmosphäre zurückgeblickt werden. Dabei hinterließen auch die Jugenddelegierten, die in diesem Jahr erstmals am Petersburger Dialog teilnehmen durften, einen sehr aktiven und gut informierten Eindruck.

Protokollant: Georg Hiemann (Wintershall Holding GmbH)