Ergebnisprotokoll der zusätzlichen Sitzung der AG Zukunftswerkstatt des Petersburger Dialogs vom 20. Juli 2019 in Königswinter
Die Sitzung der AG Zukunftswerkstatt war der Erörterung aktueller Fragen für 2019-2020 sowie Ausarbeitung des Hauptthemas für das Treffen der Arbeitsgruppe Anfang November in Berlin gewidmet.
Frau Tatjana Chruljowa, Redakteurin der Website „Rosbalt-Petersburg“, hielt fest, dass der moderne Informationsraum sowohl in Russland als auch in anderen Ländern immer mehr einem Kriegsschauplatz ähnelt. Die Gesellschaft sei in Gruppen gespalten, viele hätten schon längst „ihre Konfliktpartei“ ausgemacht und wären bereit, die Interessen der „Ihren“ bis ins Tezett zu verteidigen. Nur Einzelpersonen versuchten, das Gesamtbild unparteiisch zu beurteilen und, was am wichtigsten sei, den Dialog mit dem Gegner respektvoll zu führen; Argumente seien des Öfteren nur für wenige von Interesse, dafür hätten die Emotionen Vorrang. Daher könnte das Kommunikationsproblem, inklusive das im Informationsraum, zum wichtigen, komplexen und interessanten Thema bei den nächsten Tagungen der AG werden.
Frau Evgeniya Sayko, Gründerin des „demoSlam – Format für Verständigung“ und stellvertretende deutsche Koordinatorin der AG Zukunftswerkstatt betonte, dass viele erwartet hätten, dass moderne Informationstechnologien die zwischenmenschliche Kommunikation vereinfachen würden. Allerdings erwiesen sich diese Erwartungen als trügerisch und die Ergebnisse als strickt gegenteilig. Deswegen sollte man bei der Suche nach Lösungen offline gehen und versuchen, eine gemeinsame Sprache in diesem Raum zu finden.
Prof. Dmitrij Trawin von der Europäischen Universität Sankt Petersburg führte als Beispiel seine Anmeldung in sozialen Netzwerken an: Danach entwickelten sich in seinem Alltag massenhaft Konflikte, die niemals offline entstehen würden. Das sei ein völlig neues Problem. Hätte es keine sozialen Netzwerke bzw. andere Informationsplattformen gegeben, würden viele unsere Konflikte anders verlaufen. Dabei handele es sich oft um die Opposition zu den Personen, die wir respektieren und mit denen wir generell zu verkehren bereit sind. Daher wäre es interessant, auf einer Sitzung der AG Zukunftswerkstatt Erfahrungen mit solchen Konflikten auszutauschen, denn bislang fehle es sogar an Informationen.
Herr Julius von Freytag-Loringhoven, Projektleiter der Konrad-Adenauer-Stiftung in Russland und Zentralasien, fügte hinzu, eine wichtige und diskussionsrelevante Frage wäre, wie die Netzwerkkommunikation die Kommunikation inklusive die Integrationsprozesse in der realen Welt beeinflusst. Wie die Praxis zeigt, je tiefer die Integrationsprozesse werden, umso mehr Konflikte entstehen in der Gesellschaft. Man sollte meinen, dies wäre ein Paradoxon: Alle waren sicher, dass die Integration zur Senkung der „gesellschaftlichen Temperatur“ führen würde, in der Praxis jedoch entsteht genau das Gegenteil. Die Rolle der sozialen Netzwerke in diesen Prozessen sei von großem Interesse. Des Weiteren hat er vorgeschlagen, den zweiten Tag der Sitzung in Hamburg im Spielformat durchzuführen.
Frau Natalja Tscherkessowa, Leiterin des Projekts „Nachrichtenagentur Rosbalt“ und russische Koordinatorin der AG Zukunftswerkstatt betonte ebenfalls die Wichtigkeit der Suche nach einer neuen Sprache in der digitalen Realität. Zumal der Informationsraum all das enthält, was es in der realen Welt gibt: Kriege, Beleidigungen, Propaganda. Deswegen sollte man auch darüber diskutieren, ob die neuen Technologien den Kommunikationsprozess fördern oder, im Gegenteil, neue Grenzen schaffen.
Evgeniya Sayko fügte hinzu, dass in diesem Zusammenhang nicht so sehr das Format wichtig sei als die Notwendigkeit zu verstehen, wie die Herangehensweise an die Kommunikation verändert werden kann. Frau Jelena Roter, Sprachanimator der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, unterstrich, dass das Thema der gewaltfreien Kommunikation auch von Interesse sei: Wie soll man das Gespräch führen, um nicht ständig in die Konfliktzone abzurutschen. Frau Alina Jaschina, Forschungsassistentin der Fakultät für freie Künste, schlug vor, die Differenzen zwischen der Online- und Offlinekommunikation sowie mögliche Formate und Varianten näher zu betrachten. Herr Wiktor Plechanow, Teilnehmer des demoSlam, verwies seinerseits darauf, dass heutzutage für viele gerade die digitale Realität mitsamt der sich in ihr abspielenden Konflikte und gar nicht die reale Welt grundlegend sei.
Nach Ergebnissen der Sitzung wurde beschlossen,
- Einige kommende Tagungen der ausführlichen Behandlung des Themas „Neue Technologien und Kommunikationen: Bindeglied oder neue Grenze?“ zu widmen
- Als Thema der Tagung der AG Zukunftswerkstatt in Berlin „Umgang mit Konflikten: neue Kommunikationsethik und digitale Welt“ festzulegen.