Sitzung der AG Zukunftswerkstatt, Berlin, 16.-18. Dezember 2019

Die Tagung der AG „Zukunftswerkstatt“ war dem Thema „Konfliktmanagement: Neue Kommunikationsethik?“ sowie der Ausarbeitung von Tätigkeitsschwerpunkten der AG für 2020 gewidmet.

In der ersten Sitzung wurde die Frage „Kommunikationsraum vs. Kommunikationskanäle: neue Ethik, Sprache und Tools“ diskutiert, es wurden Impulsreferate von der deutschen und der russischen Seite gehalten.

Prof. Dr. Alexander Filipović, Professor für Medienethik, Hochschule für Philosophie München, definierte in seinem Beitrag den Dialog als „liebenden Kampf“ und behauptete, dass eines der Hauptziele des Dialogs der „Kampf um den Partner“ sein sollte. Er betonte außerdem, dass die Schwierigkeiten in der Kommunikation immer mit der emotionalen Komponente und nicht mit den rationalen Argumenten begännen.

Zum Thema politische Kommunikation erklärte der leitende wissenschaftliche Mitarbeiter des Laboratoriums für soziale und ökonomische Forschungen der Nationalen Forschungsuniversität „Hochschule für Wirtschaft“, Prof. Dr. Grigori Judin, dass dieser Bereich immer von Ehrgeiz und Anerkennung geprägt und der Anspruch auf Anerkennung nicht immer rational sei. Dies bedeute, dass bei der Gestaltung politischer Kommunikation der Anspruch auf Anerkennung berücksichtigt werden müsse, und die Geringschätzung dieses Umstandes einer der größten Fehler sei. Nach Meinung des Beitragenden ist Russland in diesem Sinne ein Paradebeispiel: Hinter ihrer aggressiven Außenpolitik verberge sich eine intensive Emotion, die mit den Erlebnissen eines „leistungsschwachen Schülers“ aus den 90er Jahren verbunden sei. Einmal entstanden, verschwinde dieses mangelnde Selbstwertgefühl nicht ohne weiteres. Judin unterstrich, dass die Reaktion der russischen Gesellschaft auf die neuerlichen Entscheidungen der WADA zeige, dass, obwohl die politischen Eliten nach wie vor gekränkt seien, auf einer anderen Ebene der Wunsch entstehe, die Anerkennung in anderer Form zu erreichen und eine gewisse Kommunikation herbeizuführen. Abschließend zeigte sich der Referent überzeugt, dass in der politischen Kommunikation die zwangsläufige Präsenz eines entscheidenden affektiven Elements zu berücksichtigen sei, und das Motiv der Suche nach Anerkennung immer wichtiger sei als das engere pragmatische Interesse. Wichtig sei es dabei zu berücksichtigen, dass die dieses Element demonstrierende Partei stets nach Kommunikation suche, was zur Basis für einen Dialog werden könne.

Dmitri Trawin, Professor an der Europäischen Universität Sankt-Petersburg, behandelte in seinem Vortrag die Problematik der Online-Kommunikation. Ihm zufolge kann unsere Kommunikation im Internet heute am besten mit dem Begriff „globales Dorf“ beschrieben werden, den der kanadische Kulturwissenschaftler und Philosoph Marshall McLuhan bereits Mitte des 20. Jahrhunderts eingeführt hat. Die technischen Neuerungen der letzten 15 Jahre versetzen uns in eine völlig andere kommunikative Umwelt. Wir werden mit anderen Problemkomplexen konfrontiert als bei der Live-Kommunikation. Trawin unterstrich, dass man bei einer Betrachtung dieses Problems auch die sozialen Medien nicht nach dem Raster „gut/schlecht“ bewerten sollte. Ähnliche Probleme seien bei allen technologischen Revolutionen entstanden. Heute müsse man verstehen, wie wir den neuen Herausforderungen begegnen, nicht aber darüber streiten, ob sie notwendig seien oder nicht.

Dr. Juan Diaz-Prinz, Senior Expert, Mediation and Dialogue, United States Institute of Peace, betonte, dass die Absicht, den Standpunkt des Gegenübers zu ändern, nicht zur Grundlage eines Dialogs werden dürfe. Es solle vielmehr um eine leichte Verschiebung (shift) der Positionen gehen. Gerade dadurch erfolge ein Ideenaustausch und im Endeffekt ändere sich die Wahrnehmung beider Parteien. Ein Dialog solle seiner Auffassung nach nicht auf die Lösung des Problems, sondern auf gegenseitige Verständigung abzielen. Eine gemeinsame Entscheidung wäre dann eine Art positiver „Nebeneffekt“ der Kommunikation.

Des Weiteren unterstrich Diaz-Prinz, dass jede Vereinbarung ein sehr langsamer Prozess sei. Zu einem Ergebnis komme man nur, wenn das gegebene Thema „in eine Vielzahl von kleinen Stückchen“ zerlegt werde, die nach und nach behandelt werden. „Es hat keinen Sinn, gleich alles auf den Tisch zu packen“, betonte der professionelle Mediator. Er wies auch auf die Bedeutung eines neutralen Moderators in derartigen Kommunikationssituationen hin.

In der folgenden Diskussion fügte Gabriele Woidelko, Leiterin des Bereichs Geschichte und Politik sowie des Fokusthemas „Russland in Europa“ der Körber-Stiftung hinzu, dass es für eine erfolgreiche Kommunikation notwendig sei, so schnell wie möglich das Thema zu formulieren. Dr. Olaf Kühl, Referent für Russland, Belarus und Transkaukasien und Koordinator für die Zusammenarbeit der Partnerstädte Berlin und Moskau in der Senatskanzlei Berlin, erklärte, dass es wichtig sei, nicht zu vergessen, dass jede Dialogpartei unvermeidlich bestimmte Interessen zum Ausdruck bringe, die auf die ursprünglichen Interessen der Partner Einfluss nehmen. Iwan Preobraschenski, Politikwissenschaftler und Koordinator des Projektes „Moskauer politischer Club“ ergänzte, dass das schwerste in jeder Kommunikation das Überwinden von anfänglichen Vorurteilen sei.

Zentraler Beitrag des Programmpunkts „Umgang mit Konflikten: Wie lässt sich konstruktiver Dialog gestalten?“ war der Vortrag der Leiterin des Magisterprogramms „Politische Philosophie“ an der Hochschule für soziale-ökonomische Wissenschaften Moskau, Dr. Tatjana Weiser, der dem Problem der Schaffung eines Konsenses am Beispiel der Dialogführung in politischen Talkshows in Russland gewidmet war. Die Rednerin betonte, dass solche Programme einen steuerbaren Dissens als Propagandamittel für den offiziellen Standpunkt darstellen. Verwendet würden hauptsächlich nicht Argumente, sondern Emotionen, und zwar die negativen.

Die Rednerin hob die Schlüsselbedingungen hervor, die einen Dialog mit großer Wahrscheinlichkeit erfolgreich machten und den Konsens der Dialogpartner ermöglichten:

  • Eine gegenseitige Begrüßung der Teilnehmer habe unbedingt stattzufinden (denn dies sei gleichbedeutend mit der Anerkennung des Gegenübers);
  • die Schlüsselbegriffe der Diskussion seien genau zu definieren;
  • der Moderator müsse neutral bleiben;
  • der Moderator habe solche Rahmenbedingungen zu schaffen, bei denen die Parteien einander hören könnten;
  • Redezeiten müssten eingehalten werden.

Abschließend wurden die Pläne der Arbeitsgruppe für 2020 erörtert. Folgende Themen fanden Interesse für zukünftige Diskussionen:

  • Radikalismus und Populismus: Gefahren, Mythen und Realität;
  • Nachbarstaaten in der Rezeption von Russen und Deutschen;
  • Wie fasst die Jugend in Deutschland und Russland die Transformationen der letzten 20 Jahren auf?

Es wurde beschlossen, die nächste Tagung im Mai 2020 in Jekaterinburg dem Thema „Wie fasst die Jugend in Deutschland und Russland die Transformationen der letzten 20 Jahre auf?“ zu widmen.