„Droht eine neue Rüstungsspirale in Europa?“ – Tagung der AG Medien, Baden-Baden, 13.-15. Mai 2019

Am 13.–15. Mai 2019 fand in Baden-Baden ein Treffen der Arbeitsgruppe „Medien“ des Petersburger Dialogs zum Thema „Droht eine neue Rüstungsspirale in Europa?“ statt. Die Sitzung leiteten Johann Michael Möller, Vorstandsmitglied des Petersburger Dialogs e. V. und Koordinator der AG Medien von deutscher Seite, und Witali Ignatenko, Präsident der Weltassoziation der russischsprachigen Presse und Koordinator der AG Medien von russischer Seite.

Im Rahmen der Präsentationen diskutierten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer darüber, ob man in der heutigen Zeit von einem Kalten Krieg sprechen könne. Während der Diskussion gingen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf Themen wie die Perspektiven für die Entwicklung des gegenwärtigen Rüstungswettlaufs und die Situation im Hinblick auf den INF-Vertrag ein, die Möglichkeit, Fachleute auf diesem Gebiet anzuwerben und ihre Expertenmeinungen zu veröffentlichen, um die militärpopulistische Rhetorik in den Medien zu mindern sowie die Bedeutung der Digitalisierung für die Medien.

 

Impulsreferat von Sergej Lochthofen, Journalist, Chefredakteur a. D., Thüringische Allgemeine

 Sergej Lochthofen blickte zurück auf das Wettrüsten zwischen Ost und West im Zeichen des „Kalten Kriegs“, der zwischen den USA und der NATO auf der einen und der Sowjetunion und dem Ostblock auf der anderen Seite ausgetragen wurde. Medial inszenierte Stereotype wirken bis in die heutige Zeit nach. Nur sei die Ausgangslage heute eine andere: Russland war abgeschieden, Informationen von außerhalb drangen nur selten in die Sowjetunion. Heute habe auch die russische Gesellschaft Zugang zu unterschiedlichen Kommunikationskanälen und Informationen.

In den 50er und 60er Jahren habe man auf naive Weise gedacht, Aufrüstung schaffe Sicherheit. Heute herrsche die gleiche Meinung vor. Die Aufrüstung und Konfrontation habe nicht erst mit der Annexion der Krim oder dem Krieg in der Ukraine angefangen. Eine Rüstungsspirale habe es schon in der Regierungszeit von George W. Bush gegeben. Sergej Lochthofen vertrat die Meinung, dass sich die USA und Russland einig seien und die Konfrontation und Anspannung zum eigenen Machterhalt benötigen. Als bestes Beispiel dienen die Auflösungen der Rüstungskontrollverträge.

Europa, insbesondere Deutschland, könne die Rüstungsspirale stoppen, indem es mit Russland Verträge zur Rüstungskontrolle abschließe.

 

Impulsreferat von Aleksander Golz, Chefredakteur des Online-Portals „Jeschednjewni Schurnal“

Droht eine neue Rüstungsspirale in Europa? Alexander Golz bejahte diese Fragestellung nachdrücklich. Es habe keinen Sinn, darüber noch zu diskutieren, denn eine Rüstungsspirale, an der jede Seite beteiligt sei, gebe es bereits wieder. Russland gehe mit seiner Militärpolitik an die Grenzen Europas. Für Russland seien Atomwaffen derzeit die einzige Möglichkeit einer militärischen Konfrontation entgegen zu wirken, da das Land weder starke Verbündete noch eine effektive Wirtschaft habe. Dennoch habe kein Land ausreichende Ressourcen zur Durchführung einer militärischen Aktion.

In den 70er und 80er Jahren sei Krieg in Europa ein Tabu gewesen. Man habe Kriege eher an der Peripherie ausgetragen wie in Vietnam und Afghanistan. Dieses Tabu sei inzwischen gebrochen. Damals habe es vertrauliche Kommunikationskanäle gegeben, die im Krisenfall zur Verfügung standen. Es habe klare Spielregeln gegeben, nach welchen Bedingungen jede Seite handele. Nichts davon sei heute noch existent.

Die vertraglichen Rechtsgrundlagen, die nach dem Zweiten Weltkrieg die Basis zur Begrenzung von Raketenabwehrsystemen legten, werden nach und nach abgebaut, und damit auch die Ost-West Rüstungskontrolle. Dieses Schicksal stehe auch dem Abkommen zur Begrenzung von strategischen Offensivwaffen bevor. Wenn alle Verträge aufgekündigt sind, befinden wir uns nicht mehr in der Situation der 70er und 80er Jahren, sondern in der der 50er Jahre am Vorabend der Kuba-Krise. Mit neuen Verhandlungen zur Rüstungskontrolle hätte man deshalb schon längst beginnen müssen.

Derzeit befinden wir uns in einer Situation, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg geherrscht habe, in der kein Land einen Krieg gewollt und auch nicht mit einem gerechnet habe, und der dennoch provoziert wurde. Die alte Machtpolitik sei zurückgekehrt.

 

Impulsreferat von Leonid Mletschin, Direktor für historisch-publizistische Programme, OTR

Leonid Mletschin sprach über die Rolle der Medien im Ersten und Zweiten Weltkrieg. Mletschin vertrat die Meinung, dass diese ein Beispiel für den Triumph der Propaganda und den Verfall des Journalismus gewesen seien. Im Zweiten Weltkrieg habe das Radio die entscheidende Rolle gespielt; heute seien es die sozialen Medien. Sie verstärken die Feindbilder, die die Grundlage für die Rüstungsspirale in Europa bilden. Journalisten und Medien spielten eine große Rolle in der Verschlechterung der Beziehungen. Die Angst vor dem Atomkrieg in Europa werde verdrängt von anderen Ängsten, wie der Klimakatastrophe. Keiner rechne mehr mit einem Krieg und lasse der gegenwärtigen Rüstungsspirale deshalb ihren Lauf.