Tagung der AG Ökologische Modernisierung, Moskau, 19.-20. Dezember 2016

Bericht zum Seminar „Dekarbonisierung der Wirtschaft in Russland und Deutschland“ im Rahmen der Arbeitsgruppe Ökologische Modernisierung des Petersburger Dialogs

Am 19. und 20. Dezember 2016 fand in Moskau die Tagung der Arbeitsgruppe „Ökologische Modernisierung“ des Petersburger Dialogs statt. Sie wurde geleitet von Sergej Aleksandrowitsch Zypljonkow, Geschäftsführer von „Greenpeace Russland“, und Ralf Fücks, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung.

An der Tagung nahmen Vertreter von führenden Nichtregierungsorganisationen und Think Tanks im Bereich des Umweltschutzes sowie Vertreter der zuständigen Ministerien Russlands und Deutschlands teil.

Schlüsselthemen am 1. Tag der Veranstaltung (19. Dezember 2016) waren:

  1. Klimapolitik in Deutschland und Russland
    • Klimaschutzplan 2050 für Deutschland
    • Klima in Russland: Aktionsplan
  1. Deutsch-russische Zusammenarbeit im Bereich der Umwelt- und Energiepolitik. Die Diskussion zu diesem Thema konzentrierte sich v. a. auf die Bewertung des Pipelineprojekts „Nord Stream 2“ aus der Perspektive des Umweltschutzes.

Am 2. Tag der Veranstaltung (20. Dezember 2016) fand ein Expertenseminar zum Thema Dekarbonisierung der Wirtschaft in Russland und Deutschland – eine Strategie für nachhaltiges Wachstum?“ statt. Zentrale Themen:

  • Ökologische Modernisierung der Wirtschaft als Strategie nachhaltigen Wachstums
  • Fossile Rentenökonomie in Russland: aktuelle Situation und Perspektiven
  • „Grüne Ökonomie“ in Deutschland: Stand und Perspektiven, Akteure und wirtschaftliche Effekte
  • Energiesystem und Energiepolitik in Russland und Deutschland

Risikobewertung für den Energiesektor Russlands und Deutschlands: globaler Verbrauch und Nachfrage nach fossilen Brennstoffen, Anteil am BIP, sonstige Indikatoren

  • Ökonomische Folgen des Pariser Abkommens: Herausforderungen und Chancen
  • Das Konzept der Kreislaufwirtschaft in Theorie und Praxis

Eingeleitet wurde das Seminar durch ein Referat von Prof. Alexander Ausan, Dekan der wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Moskauer Staatsuniversität, über Perspektiven und Bedingungen ökonomischer Modernisierung in Russland.

Die anschließende Diskussion zielte v.a. auf einen Paradigmenwechsel in der Diskussion über Klimapolitik und Umweltschutz: ökologische Modernisierung sollte nicht als Last, sondern als Chance für wirtschaftliche Innovation und nachhaltiges Wachstum betrachtet werden – eine Art Rettungsring, mit dessen Hilfe Russland aus der langwierigen Wirtschaftskrise herausgezogen werden kann. Im Prinzip passt diese Strategie zum Ziel des Übergangs von einer extraktiven Ressourcenökonomie zu einer wissensbasierten, diversifizierten Wirtschaftsstruktur, das von der russischen Führung proklamiert wird. Die Frage ist jedoch, ob die herrschenden Eliten bereit und in der Lage sind, die dafür nötigen Strukturreformen durchzuführen. Mehrere Teilnehmer sprachen davon, dass Russland eine wahre Energierevolution brauche, um in der neuen Realität wettbewerbsfähig zu bleiben.

Neues ökonomisches Paradigma

Die Seminarteilnehmer waren sich darüber einig, dass Russland an die Grenzen des rentenorientierten Wirtschaftsmodells stößt. Nach Meinung von Aleksandr Ausan „setzte die Drosselung des Wachstumstempos der russischen Wirtschaft bereits 2011 an, weil das bisherige Wachstumsmodell ausgeschöpft wurde. Der Weg zurück zum Wachstum führt nur über die Abkehr von der rohstofforientierten und Hinwendung zur innovativen Wirtschaft“.

Einigkeit herrschte auch in der These, dass sich die Welt nach dem Pariser Klimaabkommen definitiv verändert hat. Die führenden Wirtschaften der Welt nehmen Kurs auf Entkarbonisierung, auf den sukzessiven Übergang von fossilen Brennstoffen zu erneuerbaren Energieträgern.

Wird Russland den Übergang zum neuen Wirtschaftsmodell, das nicht auf der Rente von mineralischen Ressourcen basiert, meistern? Und welcher Preis wird zu zahlen sein, wenn das Land es nicht schafft?

Gegenwärtig ist die russische Regierung dabei, ein äußerst wichtiges Dokument auszuarbeiten – die energetische Strategie der Russischen Föderation bis 2035. Diese Strategie folgt bisher noch den alten Pfaden. Die Regierung beabsichtigt, die Kapazitäten der konventionellen Energiewirtschaft zu steigern, dabei besteht bereits heute das Problem der Überkapazitäten.

„Die äußerst bescheidenen Ziele Russlands im Bereich der erneuerbaren Energien bilden eine krasse Dissonanz zur Energiepolitik anderer Länder mit entwickelter Energiewirtschaft. Wir brauchen den Übergang zu einem neuen Paradigma – zur verteilten, erneuerbaren, ökologisch sauberen Energie mit kleineren Energieanlagen“, so die Überzeugung des stellvertretenden Generaldirektors der „Russischen Energieagentur“ Igor Koschuchowskij.Was das Pariser Abkommen angeht, bezieht Russland bislang nur eine „reagierende“ und „anpassende“ Position, so Georgij Safonow, Leiter des Zentrums für Ökonomie der Hochschule für Wirtschaft.

„Die Ziele Russlands bezüglich der Reduzierung der Treibhausgasemissionen versetzen uns in die Lage, bis 2030 überhaupt nichts zu unternehmen, denn diese Ziele sind bereits erreicht, betont der Experte. – Unser Land setzt beharrlich auf die „Absorptionskapazität russischer Wälder“ und behauptet, dass sich die Aktivitäten zur Reduzierung der Emissionen wegen der vorhandenen umfangreichen Waldressourcen auf russischem Territorium erübrigen können“.

Irina Pominowa, stellvertretende Leiterin des Sachgebiets „Brennstoff- und Energiekomplex“ des Analysezentrums bei der Regierung der RF, sagt: „Die Strategie der Energiewirtschaft, die zurzeit in Russland erarbeitet wird, unterscheidet sich radikal von der europäischen, das ist ein Risiko.“ Künftig muss mit steigenden Steuern auf Treibhausgas-Emissionen und vermehrtem Disinvestment aus kohlenstoff-intensiven Industrien gerechnet werden. Das würde die russische Wirtschaft hart treffen. Die ersten Beispiele sind schon da: „Der schwedische Rentenfonds hat Gazprom gewarnt, er würde seinen Aktienanteil einziehen, sollte der Konzern keine Schritte zur Umsetzung des Pariser Abkommens unternehmen“, berichtete Michail Julkin, Generaldirektor des „Zentrum für Umweltschutzinitiativen“.

Nach Aleksandr Ausans Meinung muss Russland, um aus der Krise herauszukommen, in erster Linie in die Entwicklung des Humankapitals zu investieren, in „ein Land der klugen Leute“. „Dafür ist die intakte Umwelt nicht minder wichtig als das Gesundheitswesen und die Bildung“, ist sich Wladimir Tschuprow, Leiter der Abteilung für Energetik der Greenpeace Russland, sicher.

Ralf Fücks, Co-Koordinator der Arbeitsgruppe „Ökologische Modernisierung“, wies darauf hin, dass die nächste technologische Revolution im Transportwesen bevorstehe. Die Elektrifizierung des Transports, die vermutlich schneller als erwartet komme, werde den Bedarf an Erdöl substantiell reduzieren. Es liege auf der Hand, dass Russland diesen globalen Wandel nicht ignorieren dürfe, sondern sich darauf vorbereiten müsse.

Besondere Aufmerksamkeit schenkten die Teilnehmer der Tagung dem Thema Kreislaufwirtschaft. Im Kern geht es darum, die bisherige lineare Produktionsweise (vom Rohstoff zum Abfall) durch eine „Zero Waste“-Wirtschaftsweise zu ersetzen, in der jeder Reststoff wieder in den Wertschöpfungsprozess zurückgeführt wird. Diese Herangehensweise bedeutet, dass man nicht nur maximal recyceln, sondern auch bereits bei der Entwicklung neuer Werkstoffe und Produkte ihre spätere Wieder-Verwertbarkeit im Auge behalten muss.

In Verbindung mit einer Steigerung der Ressourceneffizienz bietet das Konzept der Kreislaufwirtschaft eine Antwort auf die aktuelle Ressourcenkrise. Es erfordert die verstärkte Forschung und Entwicklung neuer Technologien. Deutschland hat wie viele andere Staaten auch bereits diese Richtung eingeschlagen. Hier ergibt sich ein weites Feld für die wissenschaftliche, politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen der Bundesrepublik und Russland. Sie sollte durch entsprechende Regierungsprogramme flankiert werden.

Eine wichtige Weichenstellung auf dem Weg zu einer umweltfreundlichen Wirtschaft ist die Ratifizierung des Pariser Abkommens durch Russland, das bereits von 118 Staaten ratifiziert worden ist.

Es wäre wünschenswert, den deutsch-russischen Fachdialog über die ökologische Modernisierung der Wirtschaft zu institutionalisieren. Der Petersburger Dialog ist dafür ein interessanter Rahmen, da er auf beiden Seiten Akteure aus Wirtschaft, Politik und Zivilgesellschaft umfasst.

Der Bericht basiert auf einer Zusammenfassung der Veranstaltung durch Greenpeace Russia.