Sitzung der AG Zukunftswerkstatt in Tambow, 27.-28. März 2014

Trotz Krim-Krise und der ernsthaften Verschlechterung in den Beziehungen zwischen Russland und dem Westen, entschieden die Verantwortlichen des Petersburger Dialogs, die lange geplante XXVIII. Sitzung der Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt vom 27. – 28. März 2014 in Tambow abzuhalten. Das Gebiet Tambow ist eine der bedeutendsten landwirtschaftlichen Regionen Russlands und liegt etwa 400 km südöstlich von Moskau. In Tambow sind zahlreiche Unternehmen mit ausländischem Kapital gegenwärtig. Um sie in der Praxis zu begutachten, lud der ehemalige Premierminister und jetzige Co-Vorsitzende des Petersburger Dialogs, Wiktor Subkow, ca. 40 deutsche und russische Mittelständler nach Tambow ein. Während der Sitzung berichteten auch junge lokale Unternehmer aus Tambow über ihre Erkenntnisse beim Geschäftsaufbau in der Region und über die zahlreichen Unterstützungsmaßnahmen seitens der Gebietsadministration.

Die russische Seite zeigte sich vor allem an der von der deutsch-russischen Auslandshandelskammer entwickelten Mittelstandsinitiative interessiert, die Michael Harms vortrug. Diese soll die Rahmenbedingungen in Russland für ein besseres Funktionieren des Mittelstandes verbessern, sowie deutschen Mittelständlern die Türen nach Russland öffnen. Gleichzeitig unterstützt die Initiative russische Mittelständler bei ihrem Eintritt in den russischen Markt. Michael Harms berichtete über die ersten erfolgreichen Schritte bei der Implementierung der Mittelstandsinitiative. Er nannte die aus seiner Sicht wichtigsten Punkte zur Verbesserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingungen sowohl für den deutschen als auch für den russischen Mittelstand in Russland: Zugang zu Krediten und internationalen Märkten, Rechtsstaatlichkeit, Steuervergünstigungen, attraktive Standortpolitik, Clusterbildung, funktionierende Infrastruktur, duale Ausbildung direkt am Arbeitsplatz. In diesen Bereichen könnte Russland auf die Erfolge des deutschen Entwicklungsmodells aktiv zurückgreifen. Er kritisierte die vorhandenen bürokratischen Hindernisse und das nicht ausreichende Investitionsklima.

Die russischen Mittelständler berichteten in Tambow über den aktuellen Stand der Wirtschaftsmodernisierung in ihrem Land. Deutsche Erfahrung im Bereich Mittelstandsförderung war ihnen willkommen. Es wurde über die regionsspezifischen Besonderheiten des Gebiets und über konkrete Kooperationsprojekte gesprochen. Die russischen Teilnehmer teilten die deutsche Auffassung, dass der Mittelstand zur Lokomotive künftiger Erneuerungen werden müsse. Immer wieder wurde Deutschland als Vorbild für Russland hervorgehoben. Einen Überblick über den Stand der wirtschaftlichen Kooperation zwischen deutschen und russischen Firmen in Tambow gab der Gouverneur des Gebietes, Oleg Betin, der an der Tagung aktiv teilnahm. Seiner Meinung nach sei die Korruption im Landwirtschaftssektor massiv zurückgedrängt worden, der Ernteertrag sei um Vieles höher als in der Sowjetzeit, der Boden sei fast vollständig privatisiert, die Landwirtschaft technisch auf europäischen Stand gebracht worden. Tambow wolle jedoch nicht nur Agrarprodukte exportieren, sondern Lebensmittelfabriken errichten. Die Probleme der Region sieht er in den schwierigen Lebensverhältnissen auf dem Land und begrenztem Marktzugang für die Mehrheit der Bauern. Vertreter deutscher Agrarfirmenvertreter bekamen die Möglichkeit, sich mit dem Gouverneur und seinen Beratern intensiv auszutauschen. Michael Ritter, Finanzdirektor OOO Claas in Krasnodar, sprach über die Herausforderungen, welche die Arbeit eines deutschen mittelständischen Landmaschinenherstellers in Russland stark beeinträchtigen, wie z.B. Importbegrenzungen, unwirtschaftliche Lokalisierungsregelungen, beschränkter Zugang zu Finanzierungsinstrumenten. Claas kämpfe dafür, mit seinen Lokalisierungsanteilen den Status eines russischen Unternehmens zu erreichen, bisher leider erfolglos. Dennoch glaube die Firma an den russischen Markt und werde ihre Investitionen und Bauvorhaben in diesem Land weiterhin stärken.

Der neue Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck – der in dieser Eigenschaft seinen „Antrittsbesuch“ in Russland machte – erzählte ausgiebig über deutsche Erfahrung beim Wiederaufbau des Mittelstandes in Ostdeutschland nach der Wende. Gerade in den Bereichen Maschinenbau, Fertigungsindustrie, Logistik und Ausbildung, könnten sich ostdeutsche Länder und Firmen zu nützlichen Partnern der russischen Regionen entwickeln. Platzeck wies auch auf eine besondere Rolle der Universitäten und Technologiezentren als Keimzelle für wirtschaftliche Innovationen hin. Der Mittelstand sei derzeit der größte Arbeitsplatzgeber in Brandenburg und bildet das stabilitätsbildende Rückgrat der regionalen Wirtschaft. Diesen Erfahrungsaustausch könnte man im Rahmen einer zwischenregionalen Partnerschaft weiter vertiefen und ausbauen.

Natürlich wurde auch über die aktuelle Krise in den beiderseitigen Beziehungen gesprochen. Deutsche Teilnehmer sprachen von einem Bruch des Völkerrechts, das Russland in der Krim begangen hätte. Russische Teilnehmer warfen der EU Doppelzüngigkeit vor. Mehrere russische Unternehmer betonten, die Krim sei historisch immer russisch gewesen. Doch die Diskussionen arteten nicht im offenen Streit aus. Trotz unterschiedlicher Sichtweisen entschied man sich, den schwierigen Dialog fortzusetzen.