Sitzung der AG Zukunftswerkstatt beim 4. Petersburger Dialog, Hamburg, 8. – 10. September 2004

Beim 4. Petersburger Dialog tagte erstmals die neue Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt. Thema der ersten Sitzung war die Frage „Welche Chancen sieht die junge Generation in den beiderseitigen Beziehungen?“

Beim vierten Petersburger Dialog in Hamburg tagte zum ersten Mal die Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt. Sie tagte in den Räumen von Gruner + Jahr. An der Sitzung nahmen ca. 25 junge Wissenschaftler, Journalisten, Wirtschaftsvertreter, Politiker aus beiden Ländern teil. Viele von ihnen hatten bereits größere Erfahrung bei praktischen Projekten oder Austauschprogrammen im Bereich der deutsch-russischen Beziehungen gesammelt, die sie bisher in den Petersburger Dialog nicht einbringen konnten. Die Zukunftswerkstatt wurde zu einem Sammelbecken von Projektideen, von denen einige möglicherweise im Rahmen des Dialogs zur Geltung kommen könnten.

Ob die Zukunftswerkstatt einmal zum Netzwerk für diverse Projekte im deutsch-russischen Jugendaustausch werden kann, sei dahingestellt. Aber sie könnte sich analog zu „Young Königswinter“ zu einem politischen Forum für junge Eliten beider Länder in den nächsten Jahren durchaus entwickeln.

In drei Arbeitsstunden wurden drei Themenblöcke abgearbeitet: Russland und Deutschland in der globalen Welt, Russland und Deutschland im gemeinsamen zivilisatorischen Raum, Projektideen zur Verbesserung des deutsch-russischen Verhältnissen.

Der junge deutsche Historiker Rainer Lindner von der Universität Konstanz und sein russischer Kollege und Redakteur der Zeitschrift „Russia in Global Affairs“, Timofei Bordatschew, hielten Impulsreferate zum Stand der deutsch-russischen Beziehungen 15 Jahre nach dem Mauerfall. In den Vorträgen kamen Gemeinsamkeiten und unterschiedliche Wahrnehmungen offen zutage. Es entbrannte ein Diskurs darüber, wieweit Russland politisch, zivilisatorisch, sicherheitspolitisch und wirtschaftlich zu Europa gehört.

Russland beansprucht für sich Teil Europas aber nicht Teil des Westens zu sein. Der Westen sieht Europa auf westlichen Werten basierend. Deutschland will eine strategische Partnerschaft zu Russland eingehen, aber nur im Rahmen des gesamteuropäischen EU-Kontextes. Russland fordert mehr Mitsprache in den Entscheidungsgremien, die die Zukunft des europäischen Kontinents im 21. Jahrhundert formieren sollen. Russland will aber nicht an die Türen der EU und NATO pochen, solange die EU nicht akzeptiere, dass Russland ein anderes politisch-kulturelles Wertemodell besitzt. Echte Zusammenarbeit, so wurde festgestellt, sei heute nur in punktuellen Projekten (bspw. Energiedialog) möglich.

Der deutsch „Rat“ an Russland ist, das „imperiale Erbe“ zu beseitigen und sich den Spielregeln der Globalisierung in der internationalen demokratischen Staatengemeinschaft anzuschließen. Deutschland und die EU wollen Russland als Modernisierungspartner dienen, wobei unter dem Begriff Modernisierung nicht nur die Verbesserung der Wirtschaft, sondern auch die Demokratisierung der Politik und Gesellschaft verstanden werden. Russland braucht, um wirklich ein moderner Staat zu werden, ein funktionierendes Rechtssystem, bürgerliche Freiheiten, staatliche Selbstkontrolle, eine starke zivil – und lokale Verwaltung. Nur so kann der Zerfallsprozess, der Russland im Nordkaukasus weiterhin bedroht, langfristig aufgehalten werden.

Natürlich spielten die tragischen Ereignisse in Beslan eine Rolle bei den Diskussionen in der Zukunftswerkstatt. Deutschland artikuliert seine Sicherheitsinteressen im Rahmen der EU und hat Souveränitätsrechte an Brüssel freiwillig abgetreten. Russland ist strikt gegen die Abgabe eigener Hoheitsrechte in Fragen der Sicherheitspolitik, denn es fürchtet ansonsten seine staatliche Integrität im Kaukasus zu verlieren. Den europäischen Integrationsgedanken hat Russland so nicht übernommen. Deutschland, das eine erfolgreiche aber auch schmerzhafte Vergangenheitsbewältigung hinter sich gebracht hat, unterschätzt aber oft die Schwierigkeit des historisch einmaligen Transformationsprozesses in Russland. Trotzdem versteht Deutschland nach Meinung der Russen die russischen Probleme besser als andere Europäer.

Die Teilnehmer kamen zu dem Schluss, dass die Beziehungen der beiden Staaten zueinander in den nächsten zehn Jahren nicht einfacher, in manchen Bereichen sogar kontroverser sein werden. Konsens herrschte in der Diskussion allerdings darüber, dass die künftigen Führungseliten, die ihre Sozialisationsphase nicht im Kalten Krieg absolviert haben, eine verstärkte Partnerschaft und sogar Integration in vielen Bereichen finden werden, auch in der Sicherheitspolitik. Viele deutsche Teilnehmer sprachen sich dafür aus, die „Belehrungen“ Russlands zu unterlassen. Deutschland hätte Grund genug, Probleme auch im eigenen Land zuzugeben. In Russland hat die junge Generation größere Aufstiegsmöglichkeiten als in Deutschland.

Im zweiten Teil der Tagung wurden konkrete Projekte besprochen. Es wurde betont, dass bedauerlicherweise das Interesse in Deutschland an Russland rapide abnimmt.

Herr Frey (ZDF) machte den Vorschlag, junge russische Journalisten mit Redakteuren im ZDF-Hauptstadtstudio über Meinung – und Pressefreiheit diskutieren zu lassen.

Frau Schiffer (Deutsch-Russischer Austausch) regte an, das Problem der Visumserteilung auf hoher Ebene über den Petersburger Dialog anzusprechen. NGO-Vertreter sollten auch in die Gunst der Zielgruppe gelangen, die Mehrfacheinreisevisen erhält. Dies gilt natürlich für beide Seiten.

Herr von Heydebreck (Deutsche Bank) redete der Globalisierung das Wort und regte einen Austausch über viele Fachbereiche an.

Herr Schlossberg („Jabloko“ in Pskow) verwies auf die Notwendigkeit, Projekte auf regionaler Ebene durchzuführen. Die russischen Grenzregionen zur EU (Baltische Staaten) brauchen eine engere Kooperation mit EU-Institutionen und westlichen NGOs.

Insgesamt wurde bemängelt, dass es in der EU kaum Untersuchungen über das schlechte Erscheinungsbild Russlands in der westlichen Presse gibt.

Am Ende der Sitzung der Zukunftswerkstatt wurde eine deutsch-russische Kerngruppe aufgestellt, die sich um die Tätigkeit der Zukunftswerkstatt in der Zeit zwischen den großen Dialogen Gedanken machen soll. Die erste Folgesitzung der Arbeitsgruppe Zukunftswerkstatt findet am 26. November in den Räumen der DGAP statt. Eine russische Sitzung der Zukunftswerkstatt ist für Kaliningrad vorgesehen.

Die Zukunftswerkstatt soll den Petersburger Dialog erfrischen und eine besondere zivilgesellschaftliche Note in ihn hineintragen. Junge Russen sollen animiert werden, ihre Zivilgesellschaft von unten aufzubauen. Dies wird aber nur funktionieren, wenn die Arbeit zwischen den Dialogen auf eine konkrete inhaltliche Basis gestellt wird. Keinesfalls soll die Zukunftswerkstatt eine Konkurrenz zu bestehenden Jugenddialogen und Institutionen im deutsch-russischen Verhältnis werden.