Sitzung der AG Zivilgesellschaft beim 9. Petersburger Dialog, München, 15. Juli 2009

Beim 9. Petersburger Dialog befasste sich die AG Zivilgesellschaft mit einem breiten Spektrum an Fragen, von der russischen NGO-Gesetzgebung und den Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen in Russland über Beschränkungen des Reiseverkehrs durch Visa- und Registrierungserfordernisse bis hin zu den Herausforderungen der Zivilgesellschaft durch Gewalt.
Die AG Zivilgesellschaft befasste sich mit acht Unterthemen:

  • Die russische NGO-Gesetzgebung, Stand und Probleme
  • Arbeitsbedingungen für Menschenrechtsorganisationen in Russland
  • Beschränkungen des Reiseverkehrs durch Visa- und Registrierungserfordernisse
  • Städtepartnerschaften als Impulsgeber für zivilgesellschaftliche Zusammenarbeit
  • Gestaltung der Beziehungen zwischen Bürger und Verwaltung
  • Reaktion der Zivilgesellschaft auf soziale Probleme
  • Auseinandersetzung mit der Geschichte als zivilgesellschaftliche Aufgabe
  • Herausforderung der Zivilgesellschaft durch Gewalt in der Gesellschaft

1) NGO-Gesetzgebung

Die russische Ko-Vorsitzende der AG, Pamfilowa, schilderte den Stand der Bemühungen um die Novellierung des russischen NGO-Gesetzes, die sich unter Einfluss von Präsident Medwedjew in politisch günstiger Atmosphäre vollzögen und vor allem Erleichterungen bei den Steuer- und Registrierungsbestimmungen anstrebten. Präsident Medwedjew würdige vor allem den Beitrag der NGOs zur Überwindung der Finanz- und Wirtschaftskrise. Es gelte, das Angebot des Präsidenten zur Mitgestaltung wahrzunehmen. Ausländische NGOs würden erst in einer zweiten Phase von den Verbesserungen profitieren. Die verbesserte Atmosphäre wirke aber schon jetzt auch für sie positiv, das gelte besonders für die Arbeit der deutschen politischen Stiftungen.

Im Einzelnen wurde das häufig geringe Engagement russischer NGOs beklagt, von etwa 260.000 NGOs, seien nur etwa 30 % aktiv. Das liege auch an dem erstickenden Verwaltungsaufwand, der zuviel Personal für die Rechnungslegung binde. Erleichternd wirke, daß künftig nur bei einem 3 Millionen Rubel überschreitenden Umsatz Rechnungslegung gefordert werde. Ausländische NGOs seien in jedem Fall dazu verpflichtet. Frau Hofinga erbot sich, ein nach deutschen Erfahrungen formuliertes Modell für einfachere Tätigkeitsnachweise der NGOs zur Verfügung zu stellen. MdB Bürsch will eine Zusammenfassung der Enquete des Bundestages über die Unterstützung von NGOs bereitstellen.

Die AG votierte dafür, die positiven Veränderungen in der russischen Haltung zu NGOs öffentlich anzuerkennen und sich für deren Fortsetzung einzusetzen. Sie begrüßt die von Präsident Medwedew eingebrachte Initiative zur Überprüfung der NGO-Gesetzgebung und der Schaffung von Vertrauen zwischen Bürgern und Verwaltung und hält es für wichtig, dass die Bedingungen für gemeinnütziges Engagement internationaler und ausländischer NGOs auf dem Territorium Russlands zu vereinfachen.


2) Arbeit von Menschenrechtsorganisationen in Russland

Dem beim 8. Petersburger Dialog geäußerten Wunsch, dieses Thema regelmäßig in der AG Zivilgesellschaft zu behandeln, konnte diesmal nicht nachgekommen werden, weil die maßgeblichen deutschen Organisationen nicht vertreten waren. Das Thema bleibt auf der Tagesordnung.


3) Administrative Erschwernisse des Reiseverkehrs

Der deutsche Ko-Vorsitzende  berichtete über die Bestrebungen im Deutschen Bundestag, zu einer Erleichterung des Visavergabeverfahrens durch Einführung von miteinander vernetzten Einlader- und Antragstellerdatenbanken zu gelangen. Missverständnisse über die damit verbundenen Absichten und politischer Widerstand hätten es verhindert, die bereits erreichten Fortschritte noch vor den Bundestagswahlen zum Abschluss zu bringen. Es bestehe aber der Wille, diese Arbeiten im neuen Bundestag zügig wieder aufzunehmen. Seitens des deutschen Ko-Vorsitzenden wurde Handlungsbedarf zur Erleichterung des Reiseverkehrs auch auf der russischen Seite angemahnt. Die erheblichen administrativen Belastungen durch das Erfordernis der Registrierung bei den örtlichen Behörden nach erfolgter Einreise, wie auch das sehr beschwerliche Verfahren zur Erlangung einer Arbeitserlaubnis müssten im Interesse der Bürger beseitigt werden.

Beide Petita wurden auf Wunsch der Teilnehmer der AG für die Präsentation vor dem Präsidenten und der Bundeskanzlerin vorgemerkt.

Für eine erfolgreiche Überwindung der Krise und im Sinne des damit verbundenen wachsenden Bedarfs an bürgerlichem Engagement sowie an der Ausweitung und Stärkung der Beziehungen zwischen den gesellschaftlichen Institutionen unserer Länder hält die Arbeitsgruppe es für unerlässlich, das Visavergabesystem Deutschlands in der Beziehung zu den russischen Partnern und das System der Registrierung eingeladener deutscher Partner in Russland zu vereinfachen.


4) Städtepartnerschaften

Der deutsche Ko-Vorsitzende berichtete als Teilnehmer der 10. Deutsch-Russischen Städtepartnerkonferenz in Wolgograd im Juni 2009 über das positive Bild, das diese Veranstaltung über das zivilgesellschaftliche Engagement in Städtepartnerschaften vermittelt habe. In zahlreichen Erfahrungsberichten sei die Wichtigkeit von Vertrauen zwischen Bürger und Verwaltung sichtbar geworden, das sich in bürgernaher Verwaltung konkretisieren müsse. Transparenz des Handelns beider Seiten sei dafür eine entscheidende Voraussetzung. Deutscherseits wurde auf die positiven Erfahrungen verwiesen, die Städtepartnerschaften gerade durch ein von der Basis kommendes Engagement erhielten. Protokollarisch von den Bürgermeistern inspirierte Partnerschaften hätten im Allgemeinen geringe Bedeutung. In der Diskussion wurden u.a. Betätigungsfelder bei Bildung, Gesundheit, Wohnungswesen, Obdachlosenfürsorge genannt, die sich für Pilotprojekte eignen. Es wurde der Wunsch geäußert, hierüber in einem Informationsportal zu berichten. Dem Wunsch nach erweitertem Erfahrungsaustausch soll durch Information der Bundeszentrale für politische Bildung und des Netzwerkes für bürgerschaftliches Engagement entsprochen werden. Russischerseits wurde erneut das Anliegen nach mehr Städtepartnerschaften kundgetan, was deutscherseits auf Zögern wegen der  großen Entfernungen stößt. Hier können Hindernisse graduell überwunden werden, wenn man Kontakte allmählich ausgehend von Schüleraustausch, Schul- oder Universitätspartnerschaften und ähnlichem erweitert und erst am Ende in Städtepartnerschaften einbettet.


5) Bürger und Verwaltung

Das Thema wurde gemeinsam mit dem Thema Städtepartnerschaften behandelt.


6) Zivilgesellschaftliche Reaktionen auf soziale Probleme

Dieses erstmals beim 8. Petersburger Dialog 2008 aufgenommene Thema trifft weiter auf großes Interesse gerade der russischen Teilnehmer. Schon heute erweist sich die Behandlung dieses Fragenkomplexes im Petersburger Dialog als eine wichtige Unterstützung für hier Tätige gegenüber russischen Behörden. Es gibt derzeit keinen Überblick über den Umfang und die Tätigkeitsfelder existierender Sozialpartnerschaften. Ein Internetforum wäre hier hilfreich, das über Erfahrungen und Pilotprojekte berichtet. Ein Informationsportal sollte einzelne Zielgruppen (Alte, Kranke, Verfolgungsopfer, Gefangene, Kinder- und Jugendbetreuung u.a.) nennen. Es bestand der einhellige Wunsch, der Petersburger Dialog möge sich mit der Thematik bei einem Folgetreffen vor dem 10. Petersburger Dialog vertieft befassen. Hierzu möchte ein Seminar veranstaltet werden, das u.a. auch die Frage prüft, ob im Petersburger Dialog eine weitere Arbeitsgruppe „Soziales“ eingerichtet werden kann. Frau Hofinga vom „Zentrum Perspektive“ übergab einen Fragenkatalog als Arbeitsgrundlage für ein solches Seminar.


7) Auseinandersetzung mit der Geschichte

Die russische Ko-Vorsitzende betonte der jüngste Erlass des Präsidenten und das Dumagesetz gegen die Verfälschung der russischen Geschichte dürfe nicht überbewertet werden. Gerade jetzt sei die vom Petersburger Dialog durch zwei Seminare geleistete Arbeit von erheblicher Bedeutung und müsse fortgeführt werden. Prof. Möller, Vorstandsmitglied des Deutschen Historischen Instituts in Moskau, äußerte die Unruhe deutscher Historiker im Hinblick auf ihre künftige Arbeit unter den Strafdrohungen dieses Gesetzes. Die russische Ko-Vorsitzende betonte, die Stoßrichtung des Gesetzes richte sich nicht gegen die Arbeit deutscher Wissenschaftler. Man habe eher die Auseinandersetzungen mit den baltischen Staaten im Auge. Es bestand Übereinstimmung die Arbeit mit einem weiteren Seminar unter Leitung der Friedrich Naumann Stiftung und von Memorial fortzuführen. In der öffentlichen Präsentation solle Präsident Medwedjew auf den Willen, mit dieser Arbeit fortzufahren, hingewiesen werden, wie auch auf die Auffassung, dass dies nicht im Widerspruch zur Dumagesetzgebung stehe.

Die Arbeitsgruppe ist davon überzeugt, dass die Schaffung einer Kommission gegen historische Falsifizierung kein Hindernis für die Entwicklung freier Diskussionen in  der Wissenschaft und über dringende Probleme der Geschichte des 20. Jahrhunderts darstellt. Sie hält es für unerlässlich, gemeinsame sozialwissenschaftliche Treffen und Konferenzen zur Geschichte und historischen Aufklärung fortzuführen. Die Vergangenheitsbewältigung bleibt eine der wichtigsten gemeinsamen Aufgaben.


8) Gewalt in der Gesellschaft

Das Thema wurde vor zwei Jahren behandelt, seitdem nicht mehr. Die russische Ko-Vorsitzende hält den ersten Anstoß, den das Thema seinerzeit erhalten hat, zunächst für ausreichend. Man solle es fürs erste ruhen lassen und vielleicht später noch einmal darauf zurückkommen.