Sitzung der AG Medien beim 18. Petersburger Dialog, Bonn/Königswinter, 18.-20. Juli 2019

„Betrachten die Deutschen Russland als Europa und braucht Russland Europa?“

Die Sitzung leiteten Johann Michael Möller, Vorstandsmitglied des Petersburger Dialog e.V. und Wiktor Loschak, Strategiedirektor des Verlagshauses „Kommersant“.

In einem offenen Gedankenaustausch wurde auch von russischer Seite immer wieder die historische Zugehörigkeit Russlands zu Europa betont. Zwar gebe es in Russland derzeit gewisse Entfremdungstendenzen und eine Rückbesinnung auf die eigene Identität und Sonderrolle. Aber dies könnte auch als Herausforderung für einen konstruktiven Dialog zwischen Russland und Deutschland gesehen werden.

Die gegenwärtig stattfindende Neuordnung der Welt habe die Achse der Ost-West-Konfrontation verschoben, hin zu einer Polarität zwischen den USA und China. Hier müssen sowohl Europa als auch Russland – Stichwort Eurasien – ihre Positionen neu definieren.

Hervorgehoben wurde die gute deutsch-russische Zusammenarbeit in konkreten Projekten wie etwa der Zeitung „Petersburger Dialog“. Angesichts des stockenden politischen Diskurses sei es wichtig, den Bürgerdialog auf zivilgesellschaftlicher Ebene, zum Beispiel durch Städtepartnerschaften, zu stärken.

Impulsreferat zum Thema „Russland als Teil Europas: Die historische Perspektive“

Der Osteuropahistoriker Leonid Luks führte durch 400 Jahre russisch-europäischer Geistesgeschichte. Luks interpretierte die Entwicklung seit Peter dem Großen als wellenartigen Verlauf der Annäherung und Abwendung auf russischer wie auf westlicher Seite. S ein Fazit: Russland gehört zu Europa. Beide seien zwei Teile der gleichen europäischen Kultur. Das gemeinsame christliche Erbe werde unterschiedlich interpretiert. Das sei auch eine Chance für eine ost-westliche kulturelle Symbiose.

Vorstellung des russischen Onlineportals der Zeitung „Petersburger Dialog“

In Anwesenheit der Vorsitzenden Ronald Pofalla und Wiktor Subkow stellten Jana Nogich und Waleri Takasow den russischen Onlineauftritt der Zeitung „Petersburger Dialog“ vor (https://newspaper-petersburger-dialog.ru). Die Teilnehmer sprachen sich für mehr Synergie zwischen den deutschen und russischen Redaktionen bzw. Portalen und für eine stärkere Verlinkung der Auftritte aus. Auch sollten Informationen aus den unterjährig stattfindenden Arbeitsgruppen des Petersburger Dialogs in die Zeitungen und Portale gelangen.

Impulsreferat zum Thema „Russland als Teil Europas: Die politische Perspektive“

Der Chefredakteur des Magazins „Russia in Global Affairs“ Fjodor Lukjanow vertrat die Meinung, dass es sinnlos sei, weiterhin auf ein gemeinsames europäisches Haus zu setzen. Beide große Integrationsprojekte der letzten Jahrzehnte – die europäische Integration und die Einbindung der Russischen Föderation in Europa – stünden vor dem Ende. So lange unklar sei, wohin sich beide Seiten entwickelten, sei es unrealistisch, über gemeinsame Unternehmungen der EU und Russlands nachzudenken. In der jetzigen, neuen Weltordnung würden weder Russland noch Europa, sondern China und die USA die Hauptplayer sein. Wichtig sei es aber den deutsch-russischen Dialog auf Bürgerebene zu stärken.

Impulsreferat zum Thema „Annäherung trotz Embargo? Russlands Rückkehr in den Europarat“

Susan Stewart von der Stiftung Wissenschaft und Politik, bewertete die Entscheidung, Russland die Rückkehr in den Europarat zu ermöglichen, kritisch. Grundsätzlich sei ein Brückenbau gut, die Entscheidung spalte aber den Europarat und schwäche seine Glaubwürdigkeit. Die Brücke sei einseitig geschlagen worden, die Frage nach dem Beitrag Russlands zu einem konstruktiveren Verhältnis zwischen Russland und Europa bleibe nach wie vor offen.

Da sich der politische Brückenbau im europäisch-russischen wie auch im deutsch-russischen Verhältnis derzeit als nahezu unmöglich erweise, gelte es Kraft und Ressourcen in den Dialog auf zivilgesellschaftlicher Ebene zu investieren. Städtepartnerschaften zum Beispiel schafften eine Basis in den Gesellschaften, auf die in Zeiten besserer politischer Beziehungen gebaut werden kann. Ein Umschwenken auf einen ausschließlich interessengeleiteten Ansatz in der Politik sei in der gegenwärtigen Situation unangebracht.

Impulsreferat zum Thema „Was Politik trennt und Kultur verbinden kann. Die deutsch-russischen Beziehungen als zivilgesellschaftliche Brücke zwischen Russland und Europa“

Der Publizist Leonid Mletschin hob hervor, dass die Kultur die Gesellschaften in Russland und Deutschland bzw. Europa verbinden könne. Russen und Europäer leben seit Jahrhunderten in einem gemeinsamen kulturellen Raum. Die Orientierung nach Europa sei für Russland der „Normalfall“. Die Zeiten starker Hinwendung zu Europa seien die fruchtbarsten Phasen in der Geschichte Russlands gewesen.

Zu allen Zeiten habe es antiwestliche Strömungen gegeben. Auch gegenwärtig sei in der russischen Gesellschaft, auch wenn sie nach westlichem Lebensstil lebe, eine solche Haltung in Mode. Die Antiwestler sähen Europa als schwach und dekadent, was das nach dem Verlust des Weltmachtstatus geschwächte Selbstwertgefühl der Russen stärke. Gleichzeitig fühle man sich durch Europa bedroht und schiebe die Schuld für alles, was in Russland schieflaufe, dem Westen zu. Diese Stimmung werde von Regierungsseite und den Medien befeuert. Die Identitätsbildung Russlands sei komplex, es vereine das Asiatische, das Europäische und das Eurasische in sich. Mletschin mahnte, das europäische Element nicht zu vergessen, denn das russische „Projekt“ sei ohne das europäische nicht möglich.

Impulsreferat zum Thema „Das Netz kennt keine Autarkie. Russland und Europa im gemeinsamen digitalen Raum“

Anna Litvinenko von der FU Berlin sprach über „Grenzen im Internet“. Es gebe zwei grundsätzliche Auffassungen zur Entwicklung des Internets: Einerseits der Glaube, dass das Netz unweigerlich zur Liberalisierung und Demokratisierung der Gesellschaften führe, und demgegenüber die Befürchtung, dass das Internet die Zunahme staatlicher Kontrolle begünstige. Heute sei zu sehen, dass Staaten die Begriffe „Grenze“ und „Souveränität“ im Internet unterschiedlich interpretierten: Europa und allen voran Deutschland mit seiner DSGVO lege Wert auf den Schutz der Rechte des Individuums, China hingegen fokussiere sich auf die Souveränität der einzelnen Länder.

Russland verfolge eine aus beiden Positionen gemischte Strategie, indem es seine Rechtsauffassungen teilweise an den europäischen Normen ausrichte, gleichzeitig jedoch auch Maßnahmen zur Sicherung eines „eigenen“, unabhängigen Internets ergreife. Letztlich stünden Deutschland und Russland jedoch vor denselben globalen Fragen, auf die es keine finalen Antworten gebe: dem Dilemma zwischen Freiheit und Sicherheit im Netz, der Notwendigkeit, Hate Speech und Fake News in den Griff zu bekommen.

Wiktor Loschak und Michael Möller beendeten den Workshop mit einem Dank an die Teilnehmer. Möller wertete die Sitzung mit der Vielzahl divergierender Meinungen als bestes Beispiel dafür, wie gut Kommunikation, der offene und ehrliche Austausch von Argumenten und das voneinander Lernen zwischen Russen und Deutschen auch heutzutage funktioniere.