Sitzung der AG Medien beim 16. Petersburger Dialog, Berlin, 23.-24. November 2017

Die Arbeitsgruppe Medien beschäftigte sich beim 17. Petersburger Dialog in Berlin am 24. November 2017 zunächst – zusammen mit den Arbeitsgruppen „Zivilgesellschaft“ und „Kirchen in Europa“ — mit dem Thema „Inklusion„. Anschließend wurden die Frage der „Auswirkungen der Bundestagwahl auf das deutsch-russische Verhältnis und der Einfluss der Medien auf das Wahlergebnis“ und das neue russische Mediengesetz thematisiert.

Protokoll der Arbeitsgruppe Medien

Die erste Teil der Sitzung wurde gemeinsam mit den Arbeitsgruppen „Zivilgesellschaft“ und „Kirchen in Europa“ durchgeführt und von Dr. h. c. Gernot Erler, Koordinator für die zwischengesellschaftliche Zusammenarbeit mit Russland, Zentralasien und den Ländern der Östlichen Partnerschaften der deutschen Bundesregierung, moderiert.  Die Sitzung behandelte das Thema Inklusion in Deutschland und Russland sowie die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderungen in der öffentlichen Wahrnehmung und den Medien.

Die Sitzung begann mit der Referentin Verena Bentele, Beauftragte der Bundesregierung für Menschen mit Behinderungen. In Ihrem Vortrag betonte Frau Bentele, dass es für den öffentlichen Diskurs zur Inklusion wichtig sei, Menschen mit Behinderung direkt in den Diskurs mit einzubeziehen: „Menschen mit Behinderungen müssen Teil des politischen Prozesses sein“. Der Sport biete eine hervorragende Möglichkeit, Menschen mit Behinderung in den öffentlichen Fokus zu rücken und als Teil der Gesellschaft zu sehen. Auch Filme, TV-Formate und Medien allgemein könnten genutzt werden, um die Wahrnehmung von Menschen mit Behinderung innerhalb der Gesellschaft zu fördern. Zu oft stehe die Behinderung allein im Vordergrund. Diese sei aber nicht das Schicksal, sondern ein Teil dieser Menschen. Menschen mit Behinderungen sollten und könnten ein Teil der Gesellschaft sein und durch Teilhabe wesentlich zu ihr beitragen. Auf politischer Ebene sei ihre Einbeziehung in die Gesetzgebung sehr wichtig. Die VN-Behindertenkonvention müsse Teil des deutschen Rechts werden. Auch der Petersburger Dialog sollte sich diesem Thema in Zukunft stärker widmen.

Tatjana Mersljakowa, Beauftragte für Menschenrechte im Gebiet Swerdlowsk, berichtete, dass die Wahrnehmung von Behinderten in Russland zwar noch nicht zeitgemäß sei, eine positive Entwicklung aber absehbar sei. So hätten sich in den letzten Jahren in Russland neue Formate inklusiver Bildung entwickelt. Anfang September z. B. habe in Jekaterinburg der erste Weltkongress für Menschen mit Behinderung zum Thema „Werte sichtbar machen“ stattgefunden.

Andrea Rothenburg, Regisseurin, Filmproduzentin und Vorsitzende des Vereins Psychiatrie in Bewegung, wies darauf hin, dass Menschen mit psychischen Behinderungen in der Gesellschaft häufig aus Angst abgewertet würden. Mit ihren Filmen zu gelungener Inklusion wolle sie Mut machen. Sie führte einen Film über einen ehemals depressiven Kriminalhauptkommissar an, der nun als Gesundungsbegleiter der Polizei tätig sei und anderen Erkrankten mit seinen Erfahrungen helfe. Weitere Filme beschäftigen sich mit psychisch erkrankten Müttern. Nach wie vor sei es gesellschaftlich verpönt über Eltern mit psychischen Problemen zu sprechen. Dafür sei auch die Berichterstattung in den Medien verantwortlich, so Frau Rothenburg. Sie wolle in ihren Filmen mit diesem Tabu brechen. Auch an Schulen solle man das Thema entstigmatisieren und auf den Lehrplan setzen.

Oberkirchenrat Klaus Eberl, Kirchenleitung der Evangelischen Kirche im Rheinland und Vizepräsident der EKD-Synode sowie Verantwortlicher der Evangelischen Kirche für Inklusion, berichtete von dem Engagement der Evangelischen Kirche für behinderte Menschen in Pskow. Dort habe man eine Förderschule für Kinder mit Behinderung nach deutschen Maßstäben gegründet. Ambulante Wohnungsdienste seien auf Wunsch der Eltern in der Nachbarschaft ausgebaut worden. Die Eltern brächten sich zudem auch selbst ein. Das Stadtbild in Pskow habe sich so nach und nach geändert;  inzwischen seien Menschen mit Behinderung auch im Alltag verstärkt präsent (im Schwimmbad, auf dem Markt, bei kulturellen Veranstaltungen). Auf einem jährlich stattfindenden Festival könnten Menschen mit Behinderung Theater- und Musikstücke vorführen. Im Jahr 2019 wird Pskow die Hansetage ausrichten, bei dem das Thema Inklusion stärker in den Mittelpunkt gerückt werden solle.

Veronika Leontjewa, Leiterin des Bereichs Behindertenbetreuung in der Abteilung Wohltätigkeit und soziale Dienste der Russischen Orthodoxen Kirche, referierte zu Projekten der Orthodoxen Kirche, die die Inklusion fördern sollen. Menschen mit Behinderung seien in Russland Teil der Orthodoxen Kirche, es gäbe auch inklusive Predigten.

In der folgenden Diskussion thematisierten die Teilnehmer der AG die Wahrnehmung von Behinderten in der Öffentlichkeit. Hauptproblem seien vor allem die fehlende Anerkennung und Annahme von Menschen mit Behinderung als vollwertiger Teil der Gesellschaft. In allen gesellschaftlichen Schichten seien oft Angst und Vorbehalte vor Menschen mit Behinderung anzutreffen. Eine ausgewogene Berichterstattung der Medien könne dazu beitragen, derartige Ängste abzubauen.

Dr. Ilja Seifert, Vorsitzender des Allgemeinen Behindertenverbands in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ e.V. (ABiD), bemängelte die Definition „behinderte Menschen“. Die Bezeichnung „Menschen mit besonderen Eigenschaften“ sei ebenfalls wenig passend. Es gäbe schließlich keine Norm für „normale Menschen.“ Die Ausgrenzung von Menschen mit Behinderung allein durch derartige Bezeichnungen sei schon der Beginn des Problems. Auch solle die Gesellschaft Menschen mit Behinderung nicht mit Samthandschuhen anfassen und grundsätzlich anders behandeln. Es gebe genügend unsympathische Menschen mit Behinderung, so Seifert.

Anne Hofinga, Vorsitzende des Vorstands Perspektive Russland e. V., bemängelte den Umgang in der russischen Öffentlichkeit mit Menschen mit Behinderung. Im Jahr 2010 habe ein Behindertenkongress in Moskau nicht stattfinden können, da sich kein Moskauer Hotel bereiterklärte, hundert Menschen mit Behinderung aufzunehmen – man wolle „das Stadtbild nicht zerstören“. Die Wahrnehmung von Behinderten in der russischen Öffentlichkeit beschränke sich auf zwei Perspektiven – bemitleidenswerte Krüppel oder Gewinner olympischer Medaillen.

Gemma Pörzgen, freie Journalistin und Mitglied des Vorstands ohne Grenzen, wiedersprach dem Aufruf zur positiven Berichterstattung über Menschen mit Behinderung in den Medien. Es sei nicht die Aufgabe von Journalisten über einen Sachverhalt positiv oder negativ zu berichten. Aufgabe der Journalisten sei es lediglich, darzustellen, was ist. Wenn in den Medien Themen wie Inklusion und das Leben behinderter Menschen zu selten Widerhall fänden, so läge dies vor allem an dem erkrankten Journalismus. Journalisten hätten wenig Zeit und Geld und wählten daher die Themen, die sich am besten vermarkten ließen. Es liege daher an den entsprechenden Institutionen, das Thema den Journalisten schmackhaft zu machen und seine Präsenz in den Medien so zu steigern.

Marieluise Beck, Direktorin Ostmitteleuropa/Osteuropa am Zentrum Liberale Moderne, sprach vom politischen Blickwinkel auf Menschen mit Behinderung. Es sei wichtig, nach den notwendigen Ressourcen für ein selbstbestimmtes Leben zu fragen. Die Sichtbarkeit der Ressourcen und der Lebensumstände der Menschen mit Behinderung seien dabei wichtig.  Sabine Adler, Leiterin des Reporter-Pool beim Deutschlandradio, betonte, dass der Umgang einer Gesellschaft mit Behinderten auch immer ein Messwert seiner demokratischen Gestaltung sei. Stefan Melle, Geschäftsführer des Deutsch-Russischen Austausches, erklärte, dass es in Russland in den letzten Jahren zwar eine gewisse Entwicklung in Richtung Inklusion gegeben habe, doch so positiv, wie bisher beschrieben, sei die Lage noch nicht. Es gäbe noch sehr viel zu tun.

André Nowak, Schatzmeister des Allgemeinen Behindertenverbandes in Deutschland „Für Selbstbestimmung und Würde“ e. V. (ABiD), unterstrich, wie wichtig es sei, Barrieren – auch in den Köpfen – abzubauen. Er gab drei Empfehlungen: Zunächst sollte der Petersburger Dialog seine  Möglichkeiten besser nutzen (das Thema Inklusion werde nicht in der Zeitung „Petersburger Dialog“ erwähnt). Zweitens solle man das Thema mit der heutigen Veranstaltung nicht abhaken. Schließlich  sollten auch Menschen mit Behinderungen und ihren Organisationen im Petersburger Dialog vertreten und damit Teil des zivilgesellschaftlichen Dialogs sein.

Johann Michael Möller, Hörfunkdirektor i. R., Herausgeber der Zeitung „Petersburger Dialog“ und deutscher Koordinator der Arbeitsgruppe Medien betonte zusammen mit Witali N. Ignatenko, Präsident der Weltassoziation der Russischen Presse und Koordinator der Arbeitsgruppe von russischer Seite, man wolle einander kennenlernen, deshalb seien diese drei AGen zusammengelegt worden. Die Medien stünden heute stark mit ihren Rezipienten im Austausch und können so mit zur Inklusion beitragen.

Im zweiten Teil der Sitzung tagten die Mitglieder der AG Medien wieder separat von den beiden anderen Arbeitsgruppen und befassten sich mit dem Thema der „Auswirkungen der Bundestagwahl auf das deutsch-russische Verhältnis und der Einfluss der Medien auf das Wahlergebnis.“

Zunächst referierte Dr. Oskar Niedermayer, Leiter des Otto-Stammer-Zentrums an der Arbeitsstelle Empirische Politische Soziologie des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft, Freie Universität Berlin, zum Thema „Veränderungen in der deutschen Parteienlandschaft und des Scheitern der Jamaika-Sondierungsgespräche.“  Das Scheitern der Jaimaka-Sondierungsgespräche sei zunächst einmal vor allem auf das unterschiedliche „Framing“ der an den Verhandlungen teilnehmenden Parteien zurückzuführen. Jede der Parteien interpretiere die Ereignisse entsprechend ihrer eigenen politischen Wahrnehmung. Für die Union sei das Scheitern der Sondierungsgespräche ein schwarzer Tag gewesen. Sie habe das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Parteigeschichte erzielt. Dies sei vor allem auf die Flüchtlingspolitik von Angela Merkel zurückzuführen. Das Merkel-Lager habe bei den Verhandlungen darauf abgezielt, die eigenen Reihen zu schließen und damit das Beharren auf eignen inhaltlichen Forderungen ausgeschlossen. Dadurch seien Konfrontation und Desorientierung zum Leitprinzip der Verhandlungen geworden. Die wirklichen strittigen Punkte seien auf diese Weise nach hinten geschoben und nicht besprochen worden. Für die FDP sei es in den Verhandlungen darum gegangen, die eigenen Prinzipien nicht aufzugeben und die Glaubwürdigkeit vor den eigenen Wählern zu wahren. Deshalb seien Sondierungsverhandlungen für die FDP von Anfang an ergebnisoffen gewesen.  Die größten Schwierigkeiten habe das Scheitern der Jamaika-Verhandlungen der SPD gebracht, da sie von Anfang an erklärt habe, in die Opposition gehen zu wollen. Nun müsse sie neu abwägen, ob sie diese Entscheidung revidieren wolle. Bei Neuwahlen drohe die SPD noch mehr Stimmen zu verlieren. Die SPD könne bei Wahlen nur gewinnen, wenn sie ein optimales personales und inhaltliches Wahlangebot machen könne. Daher müsse die SPD aktuell vor allem Zeit gewinnen.

Im Anschluss wurde diskutiert, was Journalismus im Moment der aktuellen politischen Krise leisten kann. Hauptfrage war, wie Journalisten über die Sondierungsgespräche und das Abwägen von Möglichkeiten sowie die innerparteilichen Probleme berichten können. Möller argumentierte, dass das Schlechtreden der Großen Koalition vor allem in den Medien sehr präsent sei. Umfragen zeigten hingegen, dass die Zustimmung für die Große Koalition in der Bevölkerung gar nicht so gering sei. Pörzgen widersprach und erklärte, sie habe die Große Koalition vor allem als antidemokratisch wahrgenommen.

Niedermeyer wies darauf hin, dass der Erfolg der AfD bekanntlich vor allem auf die Missbilligung Angela Merkels  Flüchtlingspolitik zurückzuführen sei. Die AfD-Wähler ließen sich in drei Gruppen einteilen: (1) Menschen mit rechtsextremen Weltbild (dies sei eine Mehrheit); (2) Protestwähler, die eine Partei nicht wählen, weil sie von ihren Inhalten überzeugt sind, sondern weil sie einer anderen Partei einen Denkzettel verteilen wollen; und (3) Wähler, die sich nicht gehört und gesehen fühlen. Solche Wähler sähen im Umgang der Regierung mit der Flüchtlingskrise eine neue soziale Ungerechtigkeit. Sie würden geltend machen, dass man ihnen über Jahre gesagt habe, dass für  Bildungsinvestitionen oder Renten kein Geld da sei. Doch als die Flüchtlingskrise einsetzte, war plötzlich doch Geld für die Geflüchteten da. So sei eine neue Diskussion über soziale Gerechtigkeit angezettelt worden, die anders geartet sei als die bisherige Debatte zwischen Der Linken und den anderen Parteien. In dieser neuen Debatte um soziale Gerechtigkeit heiße es „Deutsche vs. Flüchtlinge“.

Auch die Wahrnehmung der deutschen Wahlen in Russland wurde thematisiert. Die russischen Medien hätten sich sehr früh auf das Thema Flüchtlinge eingeschossen, hieß es von verschiedenen Teilnehmern der Arbeitsgruppe.

In seinem Impulsvortrag  „Woran sind die Medien Schuld? Politische Narrative im Wahlkampf“ erläuterte Dr. Uwe Krüger, wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Journalistik am Institut für Kommunikations- und Medienwissenschaften der Universität Leipzig, das Konzept des „Konstruktiven Journalismus“. Demzufolge seien die Hauptnachrichten tendenziell zu negativ, um eine ausgeglichene Berichterstattung zu ermöglichen. Der investigative und kritische Journalismus solle nicht ausgelassen werden, aber man solle den Fokus ebenso auch auf positive Nachrichten und Erfolgsgeschichten legen.

 Die Teilnehmer der Arbeitsgruppe reagierten größtenteils kritisch. Es gebe keinen positiven oder negativen Journalismus, es gebe nur guten oder schlechten. Eine besondere Steuerung des Journalismus sei nie gut. Andere Stimmen verteidigten das Konzept und betonten, dass es beim Konstruktiven Journalismus eben nicht um eine bewusste Auswahl von positiven Themen gehe, sondern dass Journalisten sich selbst Gedanken über die eigene Berichterstattung und das Framing ihrer Berichte machen sollten. Konstruktiver Journalismus bedeute, dass Journalisten die Objektivität der Berichterstattung nicht aus dem Auge verlören.

Gemma Pörzgen referierte abschließend über das neue Mediengesetz in Russland, nach dem ausländische und inländische Medien, die Zuwendungen aus dem Ausland erhalten, als ausländische Agenten gebrandmarkt werden können. Das Gesetz sei als Reaktion auf ein Gesetz in den USA, demzufolge sich RT in den USA als ausländischer Agent registrieren habe müssen, in einem Schnellverfahren verabschiedet worden. Aufgrund seiner vagen Formulierung sei nicht klar, welche Medien genau darunter fallen könnten. Dies begünstige Willkür, denn das Justizministerium könne nach Gutdünken entscheiden, welches Medium betroffen sei und welches nicht. Von dem Gesetz seien nicht nur ausländische Medien – wie z. B. die Deutsche Welle – gefährdet; auch unabhängige russische Medien wie Meduza könnten in den Fokus des Gesetzes geraten. Doch auch in Deutschland sei im September 2017 ein umstrittenes neues Mediengesetz verabschiedet worden. Das Netzwerkdurchsetzungsgesetz richte sich gegen Hetze und gefälschte Meldungen in sozialen Netzwerken. „Reporter ohne Grenzen“ kritisiere dieses Gesetz, da es „das Grundrecht auf Presse- und Meinungsfreiheit massiv beschädigen könne.“ Entscheidungen über die Rechtmäßigkeit von Beiträgen würden so privatisiert. – In der anschließenden Diskussion äußerten einige Teilnehmer die Ansicht, Journalisten sich gegen staatliche Eingriffe in die Medien grundsätzlich wehren. Dies zeige sich auch daran, dass das neue Mediengesetz in Russland ganz deutlich eine staatlich gesteuerte Reaktion auf das amerikanische Gesetz gewesen sei. – Auch in die Auseinandersetzung um soziale Netzwerke, „Fake News“ und die Unterscheidung zwischen seriösen und unseriösen  Medien sollten sich Journalisten stärker einbringen, um die Seriosität der Berichterstattung zu wahren.