Sitzung der AG „Jugendaustausch, Ausbildung und Wissenschaft“ beim 3. Petersburger Dialog, St. Petersburg, 10.-12. April 2003

Die Fragen, die in der Arbeitsgruppe „Jugendaustausch, Ausbildung und Wissenschaft“ behandelt wurden, haben strategische Bedeutung und hohe Priorität für die deutsch-russischen Beziehungen. Die Beziehungen zwischen Jugendlichen unserer Länder müssen auf die Ebene gebracht werden, die dem Stellenwert der politischen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland sowie zwischen Russland und Europa gerecht wird. 

Jugendaustausch

1.

Die Sprachlehrerverbände beider Staaten, wie auch die Kultusministerkonferenz der deutschen Bundesländer, unterstützen die Erweiterung der Zusammenarbeit und die gegenseitige Erweiterung der Kenntnisse über das Leben der Jugendlichen in beiden Staaten. Um die Zusammenarbeit in den Bereichen Sprache, Kultur und Bildung zu intensivieren, wird empfohlen, weitere direkte Kontakte zwischen den Schulen und den Lehrern im Rahmen der von beiden Seiten unterstützten Projekte aufzubauen. Die Entwicklung von Konzepten für den Fremdsprachenunterricht, unter anderem auf der Basis von Multimedia-Materialien, die Erarbeitung neuer Lehrmaterialien und der Einsatz von E-Learning-Elementen sollten durch Zusammenarbeit der zuständigen staatlichen und wissenschaftlichen Einrichtungen sowie der Lehrerverbände erfolgen.

2.

In der außerschulischen Jugendarbeit würdigt der Petersburger Dialog die bisherigen Projekte. Insbesondere der thematische Jugendaustausch der Jugendverbände wirkt als Katalysator zur Weckung von Interessen für das jeweils andere Land. Die Jugendverbände weisen auch auf die Bedeutung der nonformalen Bildung hin. Zudem ist eine Erweiterung des Jugendaustausches auf eine größere Anzahl von russischen Regionen sowie der verstärkte Kontaktaufbau zwischen den politischen Jugendverbänden notwendig.

3.

Seit Jahren ist die Zusammenarbeit im deutsch-russischen Jugendbildungsbereich bei Fachprogrammen erfolgreich, die insbesondere Hilfen für Jugendliche in besonderen Lebenslagen betreffen, unter anderem für drogengefährdete Jugendliche. Diese Programme dienen als Generatoren für neue Ideen und als Mechanismus für die Gründung neuer Partnerschaften. Dennoch sind die Maßnahmen nicht immer nachhaltig und dauerhaft. Die Unterschiede in Strukturen, Formen und Selbstverständnis von Jugendhilfe und Jugendberufshilfe spielen hierbei eine Rolle. Die Kooperation einzelner Träger und Organisationen in diesem Bereich bedarf daher einer verstärkten fachlichen Unterstützung und Koordinierung.

Der Petersburger Dialog unterstreicht in diesem Zusammenhang die Notwendigkeit einer substantiellen Verbesserung der finanziellen Unterstützung der Maßnahmen zum direkten Austausch von Spezialisten. Die Unterstützung zur Beteiligung an solchen Maßnahmen sollte auch für sozial benachteiligte Jugendliche, Jugendliche in der Berufsausbildung, junge Migranten und andere Jugendliche, die über keine eigenen Mittel zur Reise-Finanzierung verfügen, vorgesehen werden.

4.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt unter dem Dach des Petersburger Dialoges im Herbst diesen Jahres eine Konferenz zu den vielschichtigen Themen des Jugendaustausches durchzuführen. Auf dieser Konferenz sollen insbesondere Jugendliche und ehemalige Teilnehmer an Austauschmaßnahmen ihre Anregungen vortragen. Dabei soll das besondere Augenmerk auf längerfristig angelegte, nachhaltige Projekte gelegt werden. Dieser Jugendtag soll vorrangig von Jugendlichen organisiert und thematisch bestimmt werden, und zu einem Forum des Gedankenaustausches der unter 30-Jährigen werden.

 

Bildung und Wissenschaft

5.

Die Zusammenarbeit in akademischer Bildung und Wissenschaft entwickelt sich seit Jahrhunderten zu einem der stabilsten Elemente der Beziehungen zwischen Russland und Deutschland. Dennoch sieht der Petersburger Dialog das Potenzial der Entwicklung dieser Beziehungen als noch nicht ausgeschöpft an. So ist die Anzahl der Teilnehmer des bilateralen Austausches disproportional. Die Anzahl der deutschen Teilnehmer am Austausch könnte durch Mobilisierungs- und Marketingkampagnen der russischen Hochschulen in Deutschland sowie durch neue attraktive Studienangebote in Russland erreicht werden.

6.

Die bisherige Zusammenarbeit im akademischen Bereich zeigt, dass insbesondere langfristige Partnerschaften sowohl für den Bereich Bildung wie der Grundlagenforschung, als auch der anwendungsorientierten Forschung wie der Förderung von Nachwuchswissenschaftlern im besonderen Maße dienlich sind. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb nachdrücklich, dass der Petersburger Dialog die Bereiche der Hochschulbildung und der Forschung einschließlich der Hochschulzusammenarbeit zu einem Schwerpunktthema der Beratungen im Jahre 2004 macht. Russland und Deutschland haben ähnliche Systeme der Hochschulbildung. Deswegen ist es sinnvoll, während des Überganges zum Vorbereitungssystem auf zwei Ebenen (Bachelor-Magister) gegenseitige Konsultationen durchzuführen. Vom Petersburger Dialog wird eine Gründung der gemeinsamen Kommission zur Erarbeitung der Prinzipien und der Mechanismen des Überganges zu einem europaweiten Hochschulsystem empfohlen. Diese soll unter anderem dafür sorgen, dass die Vorteile und die Qualität der Vorbereitungssysteme für Spezialisten in Russland und Deutschland in maximalem Umfang beibehalten bleiben.

Mit der gemeinsamen Erklärung der Kultusministerkonferenz der Bundesrepublik Deutschland und des Russischen Bildungsministeriums vom Februar 1999 wurde der Anfang für die gegenseitige Anerkennung von Studienzeiten, Zeugnissen, Diplomen und akademischen Graden gemacht. Auf Grund der Bedeutung dieses Problems für die Mobilität zwischen beiden Ländern richtet der Petersburger Dialog den Appell an die zuständigen Stellen in beiden Staaten, eine gemeinsame Arbeitsgruppe zur Lösung der Probleme in Bereichen der Anerkennung von Zeugnissen, Diplomen und akademischer Grade zu gründen. Der Deutsche Akademische Austauschdienst wird zu einem Workshop zu diesem Thema im Herbst diesen Jahres nach Deutschland einladen. Es wäre wünschenswert, insbesondere die führenden russischen Hochschulen aus Moskau und St. Petersburg in die Liste der Kultusministerkonferenz der anerkannten Hochschulen aufzunehmen, deren Hochschulgrade in Deutschland geführt werden dürfen.

7.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt, dass sich die besondere Aufmerksamkeit auf die Weiterentwicklung der Zusammenarbeit in Bereichen Geschichte, Recht, Natur- und Ingenieurwissenschaften richtet.

a) Die Initiative der Krupp-Stiftung und der ZEIT-Stiftung, in Moskau ein Deutsches Historisches Institut einzurichten, dessen rechtliche Trägerschaft in der Hand der öffentlich-rechtlichen Stiftung „Deutsche Geisteswissenschaftliche Institute im Ausland“ liegt, wird vom Petersburger Dialog unterstützt. Das Institut wird in Zusammenarbeit mit der Deutsch-Russischen Historikerkommission die Forschung zur deutsch-russischen Geschichte verstärkt fördern. Der Petersburger Dialog bittet die zuständigen Stellen in Deutschland und Russland, sich für die zügige Einrichtung des Instituts einzusetzen und alle Mitarbeiter mit dem für ein unbehindertes wissenschaftliches Arbeiten erforderlichen Status zu versehen.

b) Die rechtliche Zusammenarbeit zwischen Deutschland und Russland hat eine lange Tradition. Bei der Fortentwicklung des Rechts im vergangenen Jahrzehnt haben deutsche und russische Juristen in vielen Bereichen, insbesondere im Zivil- und Wirtschaftsrecht erfolgreich zusammengearbeitet. Der Petersburger Dialog sieht als Grundlage der Fortführung und der Vertiefung dieser Zusammenarbeit die Übersetzung weiterer grundlegender Werke der Rechtsliteratur und der Gesetzgebung in die jeweils andere Sprache sowie die Entwicklung gemeinsamer Studiengänge an. Die bisher erfolgreichen Kooperationen im Zentrum für deutsches Recht der Akademischen Rechtsuniversität am Institut für Staat und Recht in Moskau und der Universität Münster, der deutschsprachige Studiengang in Zusammenarbeit zwischen der Lomonosov–Universität Moskau und der Universität Regensburg, sowie die Kooperationen der Universitäten Passau, St. Petersburg und Krasnojarsk, die vom Deutschen Akademischen Austauschdienst aus Mitteln des Auswärtigen Amtes und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung gefördert werden, könnten als Modell für weitere wissenschaftliche Partnerschaften juristischer Einrichtungen aus beiden Staaten dienen. Die Arbeitsgruppe empfiehlt nachdrücklich, für den Petersburger Dialog im Jahre 2004 einen besonderen Akzent auf das Thema der rechtlichen Zusammenarbeit zu setzen.

c) Der Petersburger Dialog unterstützt die Idee zur Gründung eines Zentrums für Deutschland- und Europastudien in St. Petersburg und die Entwicklung eines entsprechenden gemeinsamen Magisterprogramms, wie dies mit den Universitäten Bielefeld und Magdeburg konzipiert wird.

d) Im naturwissenschaftlichen Bereich begrüßt der Petersburger Dialog die erfolgreiche Zusammenarbeit auf den Gebieten der Laserforschung und -technik, der Meeres- und Polarforschung, der Fachinformation und der Umwelttechnologien. Die Arbeitsgruppe empfiehlt der besonderen Aufmerksamkeit eine Intensivierung der Zusammenarbeit auf den Gebieten der Biotechnologie, der Geowissenschaften sowie der Informations- und Kommunikationstechnologien. Hervorzuheben ist die Entwicklung eines gemeinsamen Magisterprogramms und die erfolgreiche Zusammenarbeit zwischen den Universitäten St. Petersburg, Bremen, Kiel, Greifswald und Hamburg sowie der Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung. Der Petersburger Dialog unterstützt die effektive Zusammenarbeit zwischen dem Physikinstitut der Universität St. Petersburg, dem Institut für Kristallographie der Russischen Akademie der Wissenschaften, der Freien Universität Berlin, der Universität Dresden und dem Deutsch-Russischen Labor an der Berliner Elektronenspeicherring-Gesellschaft für Synchrotronstrahlung BESSY. Das Projekt eines gemeinsamen Magisterprogramms im Bereich der anwendungsorientierten Physik und Informationstechnologie an der Universität St. Petersburg in Zusammenarbeit mit den Technischen Universitäten München und Ilmenau sowie der Universität Leipzig hat eine gute Perspektive. Der Petersburger Dialog befürwortet die Vorbereitung gemeinsamer ingenieurwissenschaftlicher Projekte (z. B. Umwelttechnik) durch die Technischen Universitäten St. Petersburg und Hamburg-Harburg. Wichtig ist die Durchführung gemeinsamer Projekte zur Herstellung von hochkomplizierten medizinischen Geräten, wie z. B. das Projekt der Friedrich-Schiller-Universität Jena und der Firma AJZ Engineering GmbH zur Einrichtung eines medizinischen Zentrums an der Universität St. Petersburg. Verwiesen sei auch auf das Projekt zur Entwicklung eines modernen Kernspinresonanz-Spektrometers zur Erforschung von nano- und mesoskopischen Strukturen und biopolymeren Systemen zwischen dem Physikinstitut der Universität St. Petersburg und der Freien Universität Berlin mit der Firma Bruker.

 

Übergreifendes aus der Arbeitsgruppe

8.

Wie bereits in Weimar festgestellt, ist die intensive Förderung der Fremdsprachenkenntnisse im jeweils anderen Land für die künftige aktive Kommunikationsfähigkeit zwischen den Kulturen beider Länder unabdingbar. Ebenso ist auf deutscher Seite die Zahl der Russisch Lernenden deutlich rückläufig. Es sollen deshalb Wege gefunden werden, die Sprachkompetenz in der jeweils anderen Sprache generell zu steigern und auch im Bereich der Fachsprachen zu verbessern.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt beiden Seiten beim Frühstart der Fremdsprache in der Grundschule und bei der anstehenden Neuordnung des Sprachenunterrichts die jeweils andere Sprache angemessen zu berücksichtigen. Initiativen zur Förderung der Sprachkompetenz, wie zum Beispiel durch das Deutsch-Russische Jugendforum in die Schüler, Studierende, Auszubildende und junge Berufstätige einbezogen werden sollten, sind ausdrücklich zu begrüßen und sollten fortgesetzt werden. Der Petersburger Dialog befürwortet die Idee der Unterzeichnung eines Abkommens durch die Regierungen beider Staaten zur Förderung des Erlernens der russischen Sprache in Deutschland und der deutschen in Russland.

9.

Der Petersburger Dialog betont, dass der deutsch-russische Kultur- und Jugendaustausch nicht durch formale Schwierigkeiten bei Erhalt von Visa und der Regelung des Aufenthalts im jeweiligen Land beschränkt werden darf. Das bilaterale Kulturabkommen von 1992 wie das bilaterale Abkommen zum Jugendaustausch von 1989 sehen für entsandte Fachkräfte aus dem Kulturbereich visa-, aufenthalts- und zollrechtliche Vergünstigungen insbesondere Gebührenfreiheit bereits vor. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb den Regierungen, auf der Basis der Gegenseitigkeit folgende Praxis zu vereinbaren:

a) Rechtzeitig vor Beginn eines Ausbildungs- oder Studienabschnittes unterrichten sich die beiden Seiten per Verbalnote über die Fachkräfte, die sie zu entsenden beabsichtigen, unter Mitteilung der persönlichen Daten der betroffenen Personen, der entsendenden und der aufnehmenden Stelle, des Zweckes des Aufenthaltes und dessen vorgesehener Dauer.

b) Die Außenministerien erteilen ihren konsularischen Vertretungen die Weisung, diesen so benannten Fachkräften gebührenfrei Mehrfacheinreisevisa zu erteilen. Sofern die Rechtslage des Empfangsstaates eine Registrierung oder Verlängerung der Visa erfordert, unterrichten die Außenministerien die zuständigen Behörden. Diese sorgen dafür, dass die erforderlichen Registrierungs- bzw. Verlängerungsprozeduren gebührenfrei und zügig vorgenommen werden. Dabei ist zu vermeiden, dass sich die Fachkräfte vor Ende des laufenden Studienjahres ein weiteres Mal um Verlängerung bemühen müssen.

c) Beide Seiten garantieren für die im Rahmen dieser Zusammenarbeit sich im jeweils anderen Staat aufhaltenden Personen uneingeschränkt Reisefreiheit innerhalb ihres Staates. Beide Seiten erörtern die Möglichkeit, an diese Fachkräfte besondere Ausweise auszugeben, wie diese im jeweils anderen Land für andere Berufsgruppen (z. B. Journalisten, Wirtschaftsvertreter) üblich sind.

10.

Die Maßnahmen und Projekte in den Bereichen Sprache, schulischer wie außerschulischer und beruflicher Jugendaustausch sowie im akademischen Bereich haben eine Ebene erreicht, die die Einrichtung eines ständigen Deutsch-Russischen Koordinierungsgremiums für den Bereich des Jugendaustausches rechtfertigt. Die Regierung beider Länder werden deshalb gebeten, unter Einbeziehung von Vertretern des Petersburger Dialogs, kurzfristig eine binationale Regierungsarbeitsgruppe einzurichten, die bis zu den deutsch-russischen Regierungskonsultationen im Herbst 2003 ein inhaltliches, organisatorisches und finanzielles Konzept dafür erarbeitet.

Koordinatoren:

Prof. Dr. Ljudmila Alexejewna Werbizkaja Rektorin, Staatliche Universität St. Petersburg

Dr. Christian Bode Generalsekretär, DAAD (Jugendaustausch, Ausbildung)

Prof. Dr.-Ing. Christian Nedeß Präsident, Technische Universität Hamburg-Harburg (Wissenschaft)

Berichterstatter:

Prof. Dr. Wilfried Bergmann, Stellv. Generalsekretär, DAAD

Prof. Dr. Wladimir Trojan, Mitglied des Beirats der Staatsduma der RF für Wissenschaft und Bildung