Sitzung der AG Bildung und Wissenschaft beim 15. Petersburger Dialog, St. Petersburg, 15. Juli 2016

Bericht zur Tagung der AG Bildung und Wissenschaft beim 15. Petersburger Dialog in St. Petersburg am 15. Juli 2016

Koordinatoren:

Prof. Dr. Wilfried Bergmann, Mitglied des Senats, Europäische Akademie der Wissenschaften und Künste
Prof. Igor Maximzew, Rektor, Staatliche Universität für Wirtschaft, St. Petersburg

Nach der Begrüßung durch die beiden Koordinatoren wurde Einvernehmen über die Tagesordnung erzielt. Im Hinblick auf die zahlreichen Themenvorschläge und die knappe Beratungszeit verständigte sich die Arbeitsgruppe in den nächsten Monaten insbesondere sechs Themen aufzugreifen. Zudem wird die politischen Diskussionen durch Fachtagungen und -Projekte unterschiedlichster Formate, insbesondere im Bereich Rechtszusammenarbeit, unterstützen. Die deutschen und russischen Teilnehmer besprachen dazu Folgendes:

(1) Moderne Wissenschaft – ein Element der Wettbewerbsfähigkeit in der Globalisierung

In Russland vollziehen sich die stärksten Veränderungen im Hochschulbereich seit Peter I. Hohe Anforde–rungen an die Qualität, die Überprüfung der fachlichen Schwerpunktsetzungen der Universitäten, die eigentliche Wissensvermittlung, an Lehrkörper, Mitarbeiter, Aspiranten und Studenten werden zu einer Konzentrierung führen. Nur noch etwa 100 Universitäten sollen eine föderale Finanzierung erhalten:
2 Forschungs-Hochschulzentren,  29 Forschungsuniversitäten und 50 bis 60 regionale Universitäten. Sie werden interdisziplinärer, interkultureller und internationaler und damit transparenter, offener und attraktiver auch für ausländische Professoren und Studenten werden. Folgen der Umstrukturierung werden möglicher Weise sein:

  • 40 % der jetzigen Hochschulen werden aufgelöst oder mit anderen fusioniert;
  • bei der staatlichen Akkreditierung der Universitäten ist zu prüfen, ob der Bedarf erreicht wird;
  • Projektmittel werden verstärkt nur noch im Wettbewerb vergeben,
  • der Generationswechsel bei Rektoren, Dozenten und Mitarbeitern soll vollzogen, Ballastfächer und an den sechziger bis achtziger Jahren orientierte Studieninhalte geprüft und reduziert werden;
  • Studenten selbstständiger, theoretisch fundierter, aber auch praxisnaher und arbeitsmarktorientierter ausgebildet werden.

In Deutschland liegen einschlägige (positive wie negative) Erfahrungen der Umstrukturierung der Hochschullandschaft vor, auch wie man Einzelnes hätte anders machen sollen. Deshalb wird von deutscher Seite angeboten, sei es durch entsprechend Konferenzen, im direkten Kontakt mit den jeweiligen Partnerhochschulen und internationalen Forschungskooperations- und Wirtschaftspartnern oder über das Potenzial deutscher Alumni an russischen wie sowjetischen Universitäten.

 

(2) Universitäre Task Force für wissenschaftliche Fragen

Die UNO hat globale Herausforderungen identifiziert, die grenzüberschreitend fast alle Länder teils direkt, teils indirekt durch Folgeerscheinungen betreffen, wie z.B. Klimawandel, Desertifikation, Energiesicherheit, Ernährung, Trinkwasser, Gesundheit, Armut, Arbeit, Bildung, Bevölkerungsentwicklung, Urbanisierung – besonders aber Migration. Der UN-Generalsekretär hat ein aus wenigen, weltweit renommierten Wissen–schaftlern unterschiedlicher Disziplinen bestehendes Scientific Advisory Board initiiert, das die UNO zu globalen Herausforderungen wissenschaftlich beraten soll. Dieser Ansatz sieht technische und wissen–schaftliche und auch geistes- und sozialwissenschaftliche Lösungsmodelle vor.
Diese Grundsatzidee sollte nach übereinstimmender Meinung in der AG von einer „Deutsch-russischen Universitären Task Force“ aus zunächst jeweils drei bis vier Universitäten aufgegriffen werden, die eine wissenschaftliche Ursachenforschung und Auswirkungsanalyse vornimmt. Damit könnte eine politische, wirtschaftliche oder weltanschauliche Instrumentalisierung vermieden und mit Einbeziehungen der Studierenden ein sachliches Problembewusstsein mit kreativen und innovativen Lösungen geschaffen werden. Dieses Thema wäre ein Alleinstellungsmerkmal des deutsch-russischen Dialogs.

Die Task Force sollte von der AG Bildung und Wissenschaft des Petersburger Dialoges inittiiert und moderiert werden. Die Task Force soll ein Konzept erarbeiten und zunächst ggf. die thematischen Schwerpunkte definieren.

Die deutsche Seite benennt als Ansprechpartner der AG für dieses Projekt Herrn Dr. Gregor Berghorn, Bonn. Die russische Seite wird kurzfristig eine Benennung vornehmen.

 

(3) Wandlung der modernen Bildung im Internetzeitalter

Immer mehr greifen die Veränderungen des internationalen Bildungsraumes und der Hochschul-Bildungs–programme. Die Qualität und Konkurrenz zwischen den Universitäten wird wachsen. Damit werden noch mehr kreative Lehrkräfte nachgefragt werden und sich der Lehrprozess verändern. Der Wettbewerb um die föderalen und privaten Ressourcen für die Universitäten wird sich verstärken, was zum Zusammenschluss von Hochschulen oder zur Nutzung von Angeboten fremder Universitäten führen wird. Der Lehr- und Erziehungsprozess und damit die Arbeitsweise und Weiterbildung der Lehrkräfte wird sich durch die neuen Informationstechnologien und durch die derzeitigen Gewohnheiten der „Internet“-Studenten verändern. Ganz wichtig bleibt aber auch, weiterhin Grundkenntnisse und Fähigkeiten des wissenschaftlichen Arbeitens erlernen zu lassen und zu vertiefen.
Durch Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und Unternehmen muss ein Weg gefunden werden, den Studenten an den Hochschulen einen Wissens-Rahmen zu verschaffen und gleichzeitig soviel Praxiskenntnisse zu vermitteln, dass später in der Wirtschaft ein Nachlernen nicht mehr erforderlich ist, sondern ein sofortiger Einstieg in die dortigen Anforderungen möglich wird. Es sollten also arbeitsmarktorientierte Absolventen zur Verfügung stehen, die lebenslang lernen können und müssen.
Modelle für moderne Studiensystem sollten auf einer Tagung zum Thema „Digitale Universität“ diskutiert werden.

Von deutscher Seite haben die „XU Expotential Universität“, Berlin und die Technische Universität, München, Intresse an einem derartigen Projekt bekundet.

 

(4) Ethik und Probleme der Wissenschaft

Die Ethik des modernen Wissenschaftlers wird intersektoral, international und interdisziplinär bestimmt sein. Es wird ein neues Modell der Wissenschaft erforderlich werden: die Wissenschaft wird von der ganzen Gesellschaft bestimmt. Beides mündet in zwei Problemkreise: die Selbstorganisation der Wissen–schaftlergemeinschaft und die Ethik zwischen Gesellschaft und Wissenschaft.
Kann beispielsweise Plagiaten durch Betreuung von zwei Doktorvätern, durch strenge, zentrale Aufsicht oder durch intensive Nutzung der Rechercheoberfläche „Web of Science Core Collection“ entgegengewirkt werden? Wie weit darf man in Genom-, kognitive, Künstliche-Intelligenz- oder andere Forschungsbereiche vordringen, mit welchen Konsequenzen und Regeln? Oder wer – Wissenschaft, Wirtschaft, gesellschaftlich Interessierte oder ausschließlich wirtschaftliche Interessen, bestimmen, was erforscht und was gefördert werden wird? Wie geht man mit Scientometrie bzw. Naukometrija um.

Angeregt wurde deshalb, eine deutsch-russische Arbeitstagung/Konferenz zu dem Thema durchzuführen. Auf deutscher Seite könnte die Federführung dazu bei Campus München der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste liegen.

 

(5) Zusammenarbeit in Fragen von Recht und Wirtschaft

Rechtskooperationen zwischen deutschen und russischen Einrichtungen bestehen seit langem, waren häufig Beratungsgegenstand der Arbeitsgruppe und sind vielfältiger, als allgemein bekannt.

In den Rechtswissenschaften führen z.B. Austausch von Professoren, Promovierenden und Studenten, Doppel-Master-Programme zur Internationalisierung und ergeben neue Chancen, vor allem in der Rechtsforschung. Dazu kommen zahlreiche Veranstaltungen im Bereich der Weiterentwicklung der Gesetzgebung und der Rechtsanwendung, wie z.B. bei der Entwicklung der 4. Teiles der russischen ZGB und dem (neuen) Arbitragegesetz Russlands.

In dem Kontext spielen fachübergreifende Fragen eine zunehmende Rolle:

Wie gehen andere Kulturkreise mit bestimmten Rechtsproblemen um, immer mehr auch bedingt durch internationalen Handel, Wirtschaft, vermehrt aber auch durch Migration. Sowohl in Deutschland als auch Russland treten vergleichbare Fragestellungen dazu auf, z.B. bei der Zusammenarbeit in den Bereichen Rohstoff, einschließlich Rohstoffeffizienz und Logistik. Fragestellungen ergeben sich aber auch aus Konsequenzen aus den Neuro-, Sozial-, Material- oder anderen Wissenschaften. Spürbar sind nach wie vor Verständigungsschwierigkeiten im Hinblick auf die einschlägigen Terminologien. Die gemeinsame Erarbeitung eines deutsch-russischen terminologischen Wörterbuches wird für erforderlich gehalten.

Die deutsche Seite schlägt deshalb, unter Einbeziehung des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, den Aufbau eines „Deutsch-Russischen Zentrums für Innovation, Wirtschaft und Recht“ vor. Federführend wird auf deutscher Seite zunächst das Deutsch-Russische Forum mit Prof. Dr. Bergmann sein, das weitere deutsche Organisationen, wie z.B. das Deutsch-Russische Rohstoff-Forum einbinden wird. Auf russischer Seite hat die Akademie für Volkswirtschaft und Staatsverwaltung beim Präsidenten der Russischen Föderation ihr Interesse bekundet; auch hier sollen weitere Organisationen einbezogen werden.

Die AG unterstützt weiterhin diese Zusammenarbeit, begrüßt die neue Initiative wird sich auf der nächsten Tagung damit weiter beschäftigen.

 

(6) Kant-Jubiläum

Eine Reihe von Veranstaltungen, Festivals und Aktivitäten zum 300. Geburtstag von Immanuel Kant im Jahre 2024 werden in den nächsten Jahren auf den Weg gebracht. Der Petersburger Dialog sollte die langfristige Vorbereitung einer breiten Diskussion um Schaffen und Wirken von Kant im Auge behalten. Denkbar sind eine kommentierte Überarbeitung und Schaffung einer deutschen Kant-Gesamtausgabe und die Herausgabe einer in russischer Sprache.

Die Federführung liegen hier bei der (deutschen) „Vereinigung der Freunde Kants“ und der Universität Kaliningrad.

 

Die nächste Sitzung der AG soll Anfang Dezember in Russland stattfinden.

Gez:

  1. Nagel (Protokollführer) W. Bergmann (Deutscher) Koordinator der AG