Sitzung der AG Bildung und Wissenschaft beim 12. Petersburger Dialog, Moskau, 14.-17. November 2012
Die Sitzung der Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft war beim 12. Petersburger Dialog dem Gesamtthema „Russland und Deutschland: Die Informationsgesellschaft vor den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts“ gewidmet.
Beratungsgegenstände der Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft:
– Der Einfluss der Informationstechnologien auf Hochschulen und Wissenschaft
– Qualitätssicherung in Forschung und Lehre
– Berichte zur bisherigen Arbeit und zu Einzelmaßnahmen
Koordinatoren der Arbeitsgruppe:
Prof. Dr. Wilfried Bergmann, Mitglied des Lenkungsausschusses Petersburger Dialog
Prof. Dr. Igor Gorlinskij, Prorektor für Wissenschaft der Staatlichen Universität St. Petersburg, Mitglied des Lenkungsausschusses Petersburger Dialog
A. Zwischenbilanz der bisherigen Arbeit
1. Mit großer Zufriedenheit nimmt die Arbeitsgruppe zur Kenntnis, dass sich die fachliche Zusammenarbeit, insbesondere auf den Gebieten des Rechtswesens, der Rohstoffeffizienz, der Logistik und des Gesundheitswesens erweitert haben. Insbesondere die im Rechtsbereich mit Unterstützung der Bundesregierung durchgeführten Maßnahmen, die im Programm „Modernisierungspartnerschaft“ unter dem Dach des Petersburger Dialogs zusammengeführt wurden, entwickeln sich zu Eckpfeilern der deutsch-russischen fachlichen Kooperation.
1.1 Im Bereich der rechtlichen Zusammenarbeit verzeichnet die Arbeitsgruppe eine erfreuliche Steigerung der Aktivitäten. Diese wurden von verschiedenen Partnern aus Deutschland und Russland und zahlreichen Experten begleitet. Besonders ist hier hervorzuheben, dass die Experten lediglich eine Erstattung ihrer Kosten, aber keine Honorare erhielten.
1.2 Die Fachgruppe unterstützt die Weiterführung der Aktivitäten des deutsch-russischen Rohstoffforums im Interesse der Steigerung der Rohstoffeffizienz. Zu den Einzelheiten wird auf die Publikationen des Deutsch-Russischen Rohstoff-Forums verwiesen.
1.3 Die Arbeitsgruppe nahm das umfangreiche Arbeitsprogramm im Bereich Gesundheitswesen, das im Berichtsjahr, insbesondere vom Koch-Metschnikov-Forum und anderen Organisationen durchgeführt wurde, zustimmend zur Kenntnis. Um das Programm effektiver weiterzuführen zu können, wäre eine signifikante Aufstockung der Mittel erforderlich.
1.4 Die Arbeitsgruppe begrüßt, dass zur Umsetzung der Modernisierungspartnerschaft im Botschaftsgebäude in Moskau (Leninskij Prospekt) zur operativen Umsetzung der Programme Räumlichkeiten bereitgestellt wurden. Die Umsetzung erfolgt durch eine Vereinbarung zwischen DAAD und Petersburger Dialog.
1.5 Die Arbeitsgruppe war erfreut über den Bericht der Stiftung Deutsch-Russischer Jugendaustausch, der die vielfältigen Aktivitäten der Stiftung aufzeigte. Auch hier sei zu den Einzelheiten auf die Mittelungen der Stiftung hingewiesen.
B. Beratungsgegenstände der Arbeitsgruppe
1. Themen von fachübergreifender Bedeutung
Neben den bereits im Abschnitt „Zwischenbilanz“ angesprochenen Aktivitäten konzentrierte sich die Diskussion auf folgende weitere Punkte:
1.1. Einfluss der Informationstechnologien auf Bildung und Wissenschaft
Entsprechend dem Generalthema des Petersburger Dialoges 2012 widmete die Arbeitsgruppe diesem Thema besonders breiten Raum. Nach Einführungsreferaten von Prof. Dr. Franziska Boehm vom Institut für Informations-, Telekommunikations- und Medienrecht der Universität Münster und Prof. Dr. Ivan M. Grigoryev, Leiter der Abteilung Ausbildungsprogramme der Universität St. Petersburg, entwickelte sich eine lebhafte Diskussion, insbesondere zu methodischen Problemen und Forschung und Lehre und zu den bestehenden wie aufzubauenden Internet-Portalen. Besonders positiv wurde hervorgehoben, dass durch die elektronischen Medien die akademischen Kontakte und in deren Folge die akademische Mobilität deutlich zunehmen.
Auf besonderes Interesse der Arbeitsgruppe stieß der – vor allem von russischer Seite – initiierte Vorschlag ein „Deutsch-Russisches Internet-Portal ‚Wissenschaft‘ aufzubauen. Die Arbeitsgruppe kam zu dem Beschluss, hierzu eine Expertenrunde im Frühjahr 2013 in St. Petersburg einzuberufen, um einen „Mater-Plan“ für ein derartiges Portal aufzubauen. Zur Vorbereitung dieser Besprechung wurden deutsche und russische Teilnehmer gebeten, zu ermitteln, welche vergleichbaren Portale es bereits gibt, und welche weiteren Institutionen für eine Mitarbeit gewonnen werden können. Zudem wird erforderlich sein, das Finanzvolumen abzuschätzen sowie die Frage nach möglichen Investoren aufzugreifen.
1.2 Qualitätssicherung in Forschung und Lehre
In das Thema führten Dr. Gregor Berghorn, Leiter der Moskauer Außenstelle des Deutschen-Akademischen Austauschdienstes, und Prof. Nikolay V. Syomin, Prorektor der Moskauer Lomonossov-Universität, ein. Aus den Beiträgen wie der folgenden Diskussion wurde deutlich, dass die Probleme der Qualitätssicherung in Deutschland und Russland sehr ähnlich gesehen werden und durchaus Anlass zur Sorge in beiden Ländern bereiten. Dabei wurde übereinstimmend festgestellt, dass in einzelnen Bereichen durchaus weiterhin beachtliche Qualität geleistet werden, dass aber eine deutliche Verschlechterung in der Breite der Qualität akademischer Bildung zu verzeichnen sei. Eine Ursache sei das Bestreben der Politik möglichst hohe „Absolventenzahlen“ in den Hochschulen zu erreichen, in dem immer mehr – teilweise nur bedingt geeignete – Schüler/innen zum Studium zugelassen würden, während gleichzeitig die Anforderungen im Prüfungsniveau abgesenkt würden. Es wurde darauf hingewiesen, dass das Schulniveauebenfalls ursächlich für Qualitätsverluste der Universitäten sei.
Die Arbeitsgruppe war sich weitgehend darin einig, dass der Anteil der „repetitiven Wissenschaft“ zu Gunsten „höherer intellektueller Qualität“
verändert werden müsse. Dies setze voraus, sich teilweise von der „Massenhochschule“ zu verabschieden, da die Anzahl der Studierenden kein
Gradmesser der Qualität einer Hochschule ist. Ein Modell, dass das universitäre Niveau in der Breite zu Gunsten einiger weniger „Leuchttürme der Wissenschaft“ absenke, sei für die Gesamtgesellschaft schädlich.
1.3 Förderung der Sprache
Aus Zeitgründen konnte dem Thema im Berichtsjahr kein breiter Diskussionsraum eingeräumt werden. Dennoch bestand Einvernehmen, dass
die Förderung und Vertiefung der Kenntnis der Partnersprache unverändert von grundlegender Bedeutung für die weitere Zusammenarbeit sowie für die wechselseitige emotionale und kulturelle Verbundenheit bleibt. Die Arbeitsgruppe dankt dem deutschen Russischlehrer-Verband und dem russischen Deutschlehrer-Verband für seine wichtige Unterstützung zur Fortführung der Zusammenarbeit.
1.4 Einbeziehung europäischer wissenschaftlicher Einrichtungen
Die Arbeitsgruppe nahm den Bericht von Prof. Dr. Felix Unger, Präsident der Europäischen Akademie der Wissenschaften und Künste, zustimmend zur Kenntnis, in dem dieser insbesondere über die im Aufbau befindliche Alma Mater Europaea (eine vorrangig fachübergreifend wirkende Aus- und Weiterbildungsstätte) berichtete. Zu den Einzelheiten wird auf die Berichte der Akademie verwiesen.
1.5 Führung akademischer Grade
Aus Zeitgründen konnte das Thema nicht hinreichend diskutiert werden, sodass die Arbeitsgruppe beschloss, zu den beiden Thema des Vorjahres zur nächsten Tagung einen Bericht zu erbitten. Dazu soll eine Stellungnahme der „Obersten Attestationsbehörde Russlands“
zu Folgendem eingeholt werden: Es wird als diskriminierend angesehen, dass der „kleine Doktortitel“, der im russischen „Kandidat Nauk“ genannt wird, in Westeuropa regelmäßig nur in der lateinischen Umschreibung als „Kandidat Nauk (RF)“ geführt werden darf. Dies stellt eine erhebliche Diskriminierung der russischen Nachwuchswissenschaftler dar. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb den russischen staatlichen Einrichtungen und Universitäten künftig ihre Urkunden dahingehend zu ändern, dass in der Urkunde folgender Text aufgenommen wird: „Kandidat Nauk (Doctor of …)“.
Zudem soll eine schriftliche Stellungnahme der deutschen Kultusministerkonferenz zu Folgendem eingeholt werden:
Ist es richtig, dass in der Praxis der deutschen Kultusministerkonferenz nunmehr für einige naturwissenschaftliche Fächer gestattet wird, den russischen „Kandidat Nauk““ als „Doktor (RF)“ zu führen, während dies für die Geisteswissenschaften weiterhin abgelehnt wird. Die Arbeitsgruppe kann keinen Grund für diese – aus ihrer Sicht – rechtswidrige – Diskriminierung der Geisteswissenschaftler erkennen.
2. Beratung über weitere einzelne Projekte und Bereiche
2.1 Bericht zum Stand der Erarbeitung von Geschichtsmaterialien
Wegen der Abwesenheit von Prof. Tschubarjan musste das Thema zurückgestellt werden.
2.2 Zusammenarbeit im rechtlichen Bereich
Dr. Hülshörster, stv. Geschäftsführer der Deutschen Stiftung für internationale rechtliche Zusammenarbeit (IRZ), und Professor Bergmann (Petersburger Dialog) berichteten über den Fortgang der Rechtszusammenarbeit, die insbesondere durch das Programm der deutschen Bundesregierung zur Modernisierungspartnerschaft einen deutlichen Impuls erhalten hat. Im Zuge dieser Zusammenarbeit sind zahlreiche Gesetze (u.a. GrundG, BGB, HandelsG, AktienG, GmbHG, ZPO, StrafGB, StrafprozessO, VerwaltungsverfG, VerwaltungsgerichteO jeweils mit Einführungs- und
NebenG, Völkerrecht) übersetzt und in Russland publiziert worden. Auf diese Weise sollen auch die beschriebenen Ausbildungsmaßnahmen mit russischsprachiger Fachliteratur unterlegt werden.
Die Arbeitsgruppe erachtet deshalb folgende Maßnahmen für dringlich:
a) Gesetzgebungsberatung
Notwendig ist der Auf- und Ausbau der Gesetzgebungsberatung, um dem Wunsch der russischen Seite nach Anpassung zahlreicher normativer Akte an das internationale, insbesondere europäische Recht zu sichern. Zudem soll ein Beitrag zur besseren Implementierung des Rechtes und damit zur gesellschaftlichen Stabilität geleistet werden.
Hierzu gehören insbesondere die Reform des Zivil- und Handelsrechtes, der Aufbau eines Wirtschaftsverwaltungsrechtssystemes, einschließlich des entsprechenden Rechtsschutzes, die Verbesserung des Verbraucherschutzes in zahlreichen Bereichen, die Kredit- und Einlagensicherung, die Heranführung des Gesellschaftsrechtes an das europäische Recht, die rechtliche Absicherung ökologischer Entscheidungen sowie die Verbesserung der Konfliktvermeidungsmechanismen.
b) Aus- und Weiterbildung
Im Bereich der rechtswissenschaftlichen Zusammenarbeit sollten die erwähnten Maßnahmen ausgeweitet und ergänzt werden, insbesondere durch Hospitationen von Richtern, Staats- und Rechtsanwälten sowie Hochschulangehörigen.
c) Vorrangige Ziele
Im Rahmen der Modernisierungspartnerschaft sollten neben der Förderung der bilateralen rechtlichen Zusammenarbeit folgende Ziele im Vordergrund stehen:
– Implementierung des Rechtes durch Verbesserung in Verfahrensfragen,
– Unterstützung des Prozesses der Weiterentwicklung der Rechtsstaatlichkeit,
– Entwicklung gemeinsamer Qualitätsstandards im Rechtsbereich,
– Beiträge zur Fortentwicklung des internationalen Rechtes und des Zivil- und Handelsrechtes.
2.3 Kooperation im Gesundheitsbereich
Der Vorsitzende des Koch-Metschnikow-Forums (KMF), Prof. Dr. Hahn, berichtete über die zahlreichen durchgeführten und geplanten Maßnahmen im Bereich der Gesundheitsvor- und fürsorge. Dabei standen im Vordergrund Projekte der akademischen Partnerschaft, in der Zusammenarbeit bei der Harmonisierung von Standards im Gesundheitswesen und in der gemeinsamen Bekämpfung von Infektionskrankheiten.
Als herausragende Einzelbeispiele wurden genannt: An der Metschnikow-Universität St. Petersburg wurde das „Koch-Metschnikow International
Center for Public Health“ gegründet. Jekaterinburg ist dem Tuberkulose Netzwerk des KMF beigetreten. Mit der Universität Smolensk soll eine
Partnerschaft in Forschung, Lehre und Austausch aufgebaut werden. Mit dem neuen Hauptverantwortlichen für Tuberkulose-Kontrolle in
Russland, Prof. Yablonski, wurde eine weitreichende Zusammenarbeit vereinbart, die ein Trainingszentrum in St. Petersburg, gemeinsame
Konferenzen und Forschungsprojekte umfasst. Zudem soll die Zusammenarbeit mit der Russischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften intensiviert werden.
2.4 Zusammenarbeit im Bereich der Rohstoffeffizienz
Die Berliner Unternehmensberatung WIB, der Petersburger Dialog und die Oblast-Administration Smolensk stehen seit einiger Zeit in Gesprächen zur besseren Verwertung von Bio-Rohstoffen im Energiebereich (Bio-Pelets). Damit soll zugleich ein Beitrag zur besseren Nutzung der landwirtschaftlichen Ressourcen im Smolensker Oblast erreicht werden. Die Arbeitsgruppe unterstützt das Projekt insbesondere im Hinblick auf die
Erstellung einer Machbarkeitsstudie sowie die Suche von internationalen Investoren.
2.5 Adhoc-Arbeitsgruppe Intellektuelles Eigentum
Dr. Fluhrer, München, berichtete über die zunehmende wissenschaftliche und wirtschaftliche Bedeutung des Intellektuellen Eigentums (Intellectual Property) in beiden Staaten im Hinblick auf den rasch wachsenden globalen Wettbewerb. Dabei ist zu beobachten, dass Russland mit 40.000, Deutschland mit 60.000 Patenanmeldungen ca. 500.000 Patentanmeldungen in China gegenüber steht. Deshalb wurde vorgeschlagen, eine Ad-hoc-Arbeitsgruppe „IP“ zu gründen, die sich sowohl der rechtlichen Fragen (z.B. Vereinfachung der Rahmenbedingungen, Schutz und Verwertung in Wissenschaft und Wirtschaft) annimmt, sowie eine neue „Welle des Erfindertums“ initiiert. Die Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft begrüßt die Initiative und ist bereit, im Rahmen ihrer Möglichkeiten diese Initiative zu unterstützen. Es wird vorgeschlagen, in Kooperation mit der AG Wirtschaft und dem Programm „Modernisierungspartnerschaft“ eine Sonderkonferenz zu diesen Fragen in der ersten Hälfte 2013 durchzuführen.
2.6 Matching-Fund Programme zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses
Dazu berichtet Dr. Berghorn (DAAD), dass in zwei paritätisch finanzierten Programmen der akademische Nachwuchs (Doktoranden) weiter gefördert
werden soll:
Im „Michail Lomonossow-Programm“ werden junge Wissenschaftler und junge Hochschullehrer naturwissenschaftlicher und ingenieurwissenschaftlicher Fächer für die Dauer von 6 bzw. 3 Monaten bei Aufenthalten an deutschen Hochschulen gefördert. Bisher wurden 850 Stipendien in dem Programm vergeben. Die gleiche Personengruppe wird im „Immanuel-Kant-Programm“ für die Fachrichtungen Rechts-, Wirtschafts-, Sozial- und Geisteswissenschaften gefördert. Hier wurden bislang 350 Stipendien vergeben.
Die Arbeitsgruppe Bildung und Wissenschaft sieht in den Programmen ein gutes Beispiel zum Aufbau partnerschaftlicher Kooperationen.
gez.: Prof. Dr. Igor Gorlinsky, Prof. Dr. Wilfried Bergmann