Die virtuelle Gemeinde ist international – Konferenz der AG „Kirchen in Europa“ zu Chancen und Herausforderungen des Internets, 4.-7. Juni 2013

Sankt Petersburg. Die moderne Informationsgesellschaft stellt orthodoxe, katholische und evangelische Christen vor dieselben Herausforderungen. Darin waren sich die gut zwei Dutzend Teilnehmer einig, die vom 4. bis 7. Juni 2013 zu einer diesem Themenkreis gewidmeten Konferenz der Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ des Petersburger Dialogs zusammenkamen.

Die Vertreter der Kirchen griffen damit in ihren zweitägigen Beratungen in Sankt Petersburg das Thema der Jahrestagung des Petersburger Dialogs vom vergangenen November in Moskau auf. „Die Kirchen haben in ihrer Geschichte immer wieder moderne Kommunikationsmedien genutzt“, erinnerte Dr. Johannes Oeldemann, der Koordinator der Arbeitsgruppe Kirchen für die deutsche Seite zu Beginn der Tagung und verwies unter anderem auf den Zusammenhang zwischen Buchdruck und Reformation. Im Blick auf die heutige Zeit ermunterte der Direktor am Johann-Adam-Möhler-Institut für Ökumenik in Paderborn, „die neuen Medien nicht nur als Einbahnstraße“ zu betrachten.

Prof. Dr. Roland Rosenstock, der an der Universität Greifswald Praktische Theologie, Religions- und Medienpädagogik lehrt, ging einen Schritt weiter: „Die Propheten waren die ersten Journalisten“, sagte er in seinem Vortrag zur Medienethik, „und die Eucharistie ist das erste Massenmedium, weil sie die Christen weltweit im Abendmahl verbindet.“ Außerdem sprach Rosenstock die Wandlung des gesellschaftlich relevanten Begriffs des Heiligen an und lenkte den Blick auf die „unheilige Verbindung der Terroristen mit den Medien“.

Selbst wenn verantwortungsbewusste Journalisten auf ethisch bedenkliche Berichterstattung in Wort und Bild verzichteten, biete das Internet weiten Raum für unüberprüfbare Inszenierungen und Darstellungen, die die Menschenwürde verletzen, war die Meinung mehrerer Diskutanten. Priester Alexander Vasjutin vom Sekretariat für zwischenchristliche Beziehungen des Moskauer Patriarchats wies auf die „unterschiedlichen Subkulturen im Internet“ hin, deren Ziel es unter anderem sei, „Gruppen der Orthodoxie zu provozieren und zu radikalisieren.“

Um in der digitalen Welt wahrgenommen zu werden, plädierte Alexey Sokolov, Journalist beim orthodoxen Monatsmagazin „Foma“, in seinem Referat dafür, eine eigene, kirchliche Agenda in den Informationsfluss des Internets einzuspielen. „Die Kirche agiert nicht“, kritisierte er aus seinen Erfahrungen in Russland heraus, die die deutschen Teilnehmer jedoch gut verstehen konnten. „Wir sollten die aktuellen Themen nicht werten oder bewerten, sondern erklären“, wies er auf ein weites theologisches Betätigungsfeld im Internet hin, „wir können von Anfang an den richtigen Ton vorgeben.“ Propst Siegfried Kasparick, der als Beauftragter für Reformation und Ökumene der Evangelischen Kirche in Mitteldeutschland (EKM) auch zum Lenkungsausschuss des Petersburger Dialogs gehört, bestätigte diese Herausforderung durch das digitale Informationsangebot aus deutscher Sicht: „Die Menschen sehnen sich nach Glaubwürdigkeit.“

Wie können sich aber die Kirchen in dieser medialen Vielfalt bemerkbar machen? Dieser Frage ging die russische Journalistin Ksenia Lutshenko nach, die seit 15 Jahren ein kirchliches Internetportal betreut. Sie berichtete von einem Priester, zu dessen Pfarrstelle nur zehn Gemeindeglieder gehören, der über das Internet aber hunderte Menschen erreicht. In Internetforen, hat Lutshenko erfahren, spiele die Glaubensrichtung keine Rolle, wohl aber die Themen. Deshalb nickte sie zustimmend, als Adrian Bölle, Doktorand am Institut für praktische Theologie der Universität Heidelberg, darauf hinwies, dass die kirchliche Bildersprache „ins Heute übersetzt werden muss“.

Die „Befähigung zur Sprache“ der kirchlichen Mitarbeiter und Gemeindeglieder in den modernen Medien forderte Pfarrerin Petra Schwermann, Öffentlichkeitsarbeiterin der Evangelischen Kirche von Kurhessen-Waldeck, ein, wozu sie mehr Weiterbildungsangebote wünschte. Vakhtang Kipshizde vom Kirchlichen Außenamt des Moskauer Patriarchats unterstützte dieses Plädoyer: „Das machen wir schon lange.“ Desgleichen sei es auch eine Aufgabe der Theologen, den Journalisten nicht konfessionell geprägter Medien „Kirchenkompetenz zu vermitteln“, ergänzte Sabine Bujack-Biedermann, Journalistin und Vizepräses des EKM-Synode.

„Ich suche die Information nicht mehr, die Information kommt zu mir“, brachte Dr. Norbert Kebekus die neue Qualität der sozialen Medien auf den Punkt. Der Leiter des Referats Medienpastoral im Seelsorgeamt der Erzdiözese Freiburg vertrat in seinem Vortrag die These, dass das Internet inzwischen das Fernsehen als Leitmedium abgelöst habe. Zudem wies er auf einen Paradigmenwechsel im Internet hin: „Bestand das Web 1.0 in der Verlinkung von Informationen, so vernetzt das Web 2.0 jetzt Personen“, sagte er und lenkte den Fokus auf den Einzelnen: „Nicht Institutionen sind gefragt, sondern Personen.“ Dabei seien die sozialen Netzwerke keine Sonderwelt, sondern die Erweiterung der Realität.

Umso wichtiger sei es in dieser rasanten Entwicklung, „die Inhalte auf ihren Gehalt abzuklopfen“, brachte Priester Alexander Vasjutin den Wahrheitsbegriff ins Spiel.
Hatte Roland Rosenstock noch von einer „Gerüchteschlange“ im Internet gesprochen und die Kirchen an ihren Bildungsauftrag und ihr „Wächteramt“ erinnert, so sprach Archimandrit Philaret, der stellvertretende Vorsitzende des Kirchlichen Außenamtes des Moskauer Patriarchats, die Gleichheit, aber auch die Verantwortung aller im Netz an: „Eine Ethik, die sich nach der jeweiligen Situation und Interessen richtet, ist Morallosigkeit.“

Deswegen, so Johannes Oeldemann, „brauchen wir keine Medienzensur, wir brauchen eine Medienethik, die den Menschen den Umgang mit den neuen Medien ermöglicht.“
Roland Rosenstock stimmte zu: „Das Heilige finde ich nicht im Internet.“ Glaubenserfahrungen brauchen Gemeinschaft, für Mission jedoch, so der Tenor der Diskussion, biete das Internet viele Möglichkeiten.

Ein gemeinsam gefeierter Gottesdienst in der Kapelle zur hl. Ksenia, der Schutzheiligen von St. Petersburg, verband die russische und die deutsche Delegation am Ksenia-Gedenktag dann ganz real, persönlich und nah.