Sitzung der AG Politik beim 11. Petersburger Dialog in Hannover und Wolfsburg, 17.-19. Juli 2011

„Deutsche und russische Sicherheit im 21. Jahrhundert: Gemeinsame Herausforderungen – getrennte Wege?“  Die AG Politik wurde in diesem Jahr von Jens Paulus, Teamleiter Europa/Nordamerika der Konrad-Adenauer-Stiftung, gemeinsam mit Prof. Dr. Konstantin Chudolej, Prorektor der Staatlichen Universität St. Petersburg und stellv. Vorsitzender des Wissenschaftrates, geleitet.

Das bilaterale Gremium befasste sich mit dem Thema „Deutsche und russische Sicherheit im 21. Jahrhundert: Gemeinsame Herausforderungen – getrennte Wege?“. Übergreifendes Ziel der Arbeitsgruppe war ein konstruktiver Meinungsaustausch zu den aktuellen sicherheitspolitischen Herausforderungen. Hierbei stand in Fortsetzung der Diskussionen vom vergangenen Jahr die Frage nach einer gesamteuropäischen Sicherheitsstruktur ebenso auf der Agenda wie der Aspekt der Herausforderungen durch religiösen Fundamentalismus.

Einigkeit zwischen den Teilnehmern bestand darin, dass eine europäische Sicherheitsstruktur ohne Einbeziehung Russlands nicht erfolgreich sein könne. Alexej Gromyko, stellvertretender Direktor des Europa-Instituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, verwies in seinem Referat auf die Souveränität der russischen Verteidigungspolitik. Russland habe das Recht auf eine eigenständige Verteidigungs- und Sicherheitspolitik, die von seinen nationalen Interessen geleitet sei. Dies betreffe insbesondere das „Nahe Ausland“, wie sich im Georgienkonflikt gezeigt habe. Gromyko betonte jedoch auch die Möglichkeiten einer Vertiefung der strategischen Partnerschaft. Gleichzeitig äußerte er die Hoffnung, dass im Rahmen der Raketenabwehr ein Kompromiss erzielt werden könnte. In diesem wichtigen Punkt könne und sollte Russland nicht übergangen werden.

Dr. Wolfgang Ischinger, Botschafter a.D. und Leiter der Münchener Sicherheitskonferenz, betonte, dass Russland „ein Zimmer im europäischen Haus“ zustehe. Er schlug vor, die Beziehungen anhand konkreter Projekte auszubauen. „Sonntagsreden bringen uns nicht weiter“, so Ischinger. Ein sehr gutes Beispiel für eine fall- und projektbezogene deutsch-russische Zusammenarbeit sei die im letzten Jahr begonnene Initiative zur Beilegung des Transnistrienkonflikts. In diesem Punkt herrschte Einigkeit.

Kontrovers wurde über die Rolle der Vereinigten Staaten von Amerika für die europäische Sicherheit diskutiert. Die deutsche Seite betonte die Bedeutung der USA und versuchte deutlich zu machen, dass die russische Perzeption einer amerikanisch dominierten unilateralen Weltordnung eine Fehleinschätzung sei. Ebenfalls Uneinigkeit zeigte sich – mit Blick auf die aktuellen Ereignisse in Libyen – bei der Bewertung des Souveränitätsprinzips in den internationalen Beziehungen. Ob die Verletzung von Menschenrechten humanitäre Interventionen rechtfertige, wurde unterschiedlich gesehen. Von deutscher Seite wurde jedoch darauf hingewiesen, dass Russland eben diese Rechtfertigung auch im Georgienkonflikt genutzt habe.

Beide Seiten ließen auch die strittigen Themen in den zwischenstaatlichen Beziehungen nicht aus. „Wer ein Zimmer im europäischen Haus beziehe, müsse auch über die Hausordnung sprechen“, hob Jens Paulus hervor.
Die Rolle der Medien, die Menschenrechtslage und die Bedeutung von Nichtregierungsorganisationen waren Gegenstand eines regen, teils sehr kontrovers geführten Meinungsaustausches. Die Zivilgesellschaft könne einen wichtigen Beitrag in den deutsch-russischen Beziehungen leisten, der Petersburger Dialog eröffne die Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen sowie gemeinsame Ideen zu entwickeln und umzusetzen, betonte die russische Seite. Gleichzeitig übte sie – im Lichte der jüngsten Ereignisse das deutsch-russische Verhältnis betreffend – massive Kritik an der Bericht-erstattung deutscher Medien über Russland. Diese sei überzogen kritisch. Dem widersprach die deutsche Seite vehement. Es sei nun mal so, dass die deutschen Medien – ihrem gesellschaftlichen Auftrag nachkommend – generell kritischer und unabhängiger berichten würden als die russischen.

Weiteres Schwerpunktthema waren mögliche Strategien gegen religiösen Extremismus und der Kampf gegen den internationalen Terrorismus. Der stellvertretende Chefredakteur des ZDF, Elmar Theveßen, betonte in seinem Vortrag, dass alle Anti-Terrormaßnahmen auf ihre Folgen überprüft werden müssten, damit es nicht zu einer unangemessenen Einschränkung von Freiheitsrechten komme. Ruslan Grinberg, Direktor des Wirtschaftsinstituts der Russischen Akademie der Wissenschaften, benannte die Perspektivlosigkeit der Jugend als wesentliches Motiv für den Terrorismus. Der Dekan der Politischen Fakultät der Universität St. Petersburg, Stanislaw Jeremejew, unterstrich in seinem Referat, dass die Integration von Immigranten ein wesentliches Instrument der Terrorismusbekämpfung sei. Kontrovers wurde über die Motive der Täter sowie staatliche Präventivmaßnahmen debattiert.

Die Arbeitsgruppe tagte in diesem Jahr unter der Teilnahme des ehemaligen russischen Präsidenten Michail Gorbatschow.

Beide Seiten waren sich abschließend einig darüber, dass die Beratungen noch vor dem nächsten Dialog 2012 fortgesetzt werden sollten. Für Oktober und Dezember wurden Treffen der AG Politik sowohl in Berlin als auch in St. Petersburg beschlossen.