Sitzung der AG Politik beim 5. Petersburger Dialog, St. Petersburg, 30. November – 1. Dezember 2005

Im Mittelpunkt der Diskussion in der Arbeitsgruppe „Politik“ standen die drei Themen Entwicklung der deutsch-russischen Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Deutschland, die Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland sowie der Entwurf eines neuen russischen Gesetzes über die Regulierung der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen.

1. Die deutsch-russischen Beziehungen nach dem Regierungswechsel in Deutschland
In seinem einleitenden Referat betrachtete Hans-Joachim Spanger (Hessische Stiftung für Friedens- und Konfliktforschung) den Regierungswechsel in Deutschland im Kontext der vorherigen Veränderungen in der Regierung und hielt folgende Wandlungen für möglich:

• Deutschland und Russland würden nicht mehr zu der von Präsident Chiraq initiierten „Achse“ gehören und sich nicht als Gegengewicht zu den USA positionieren. Die Änderung der deutschen Außenpolitik unter dem Motto „mehr Amerika“ dürfe jedoch nicht zum Nachteil Russlands geschehen. Man solle nicht vom Grundsatz des „Nullsummenspiels“ ausgehen und annehmen, dass die Verbesserung der Beziehungen mit den USA automatisch eine Verschlechterung der Beziehungen mit Russland nach sich ziehe. Die begrenzten Mittel, über die die deutsche Seite verfüge, verenge ohnehin schon die Grenzen der Mehr-Amerika-Politik.

• Bundeskanzlerin Merkel trete dafür ein, dass die Politik zukünftig nicht mehr „über die Köpfe der EU-Nachbarn hinweg“ durchgeführt werde. Es gebe zwar Kritiken in Bezug auf den Bau der Ostsee-Pipeline, die das Prozedere betreffen, die neue Regierung stehe jedoch nach wie vor hinter diesem Projekt.

• Immer nachdrücklicher werde die Frage aufgeworfen, was die Grundlage der deutsch-russischen Beziehungen bilde, ob sie sich auf die gemeinsamen Werte oder hauptsächlich auf die gemeinsamen Interessen stützten. Eine Politik „klarer Worte“ werde wahrscheinlicher: Kanzlerin Merkel sei mehr dazu geneigt, die Probleme beim Namen zu nennen (zum Beispiel die von deutschen Beobachtern festgestellten Demokratiedefizite). In Anbetracht der „inneren Evolution“, die die Gesellschaften in Deutschland und Russland durchmachen, sei eine Auseinanderentwicklung möglich, sie vollziehe sich zurzeit jedoch auf einem „breiten Fundament“ der gemeinsamen Interessen. In der nachfolgenden Diskussion wurde festgestellt, dass eine Änderung der Einschätzung der Beziehungen mit Russland als „strategische Partnerschaft“ kaum zu erwarten sei. Es könne zu einer Verschiebung der Schwerpunkte und Akzente kommen, die insbesondere darauf zurückzuführen sei, dass die Reformen in Deutschland der Koalition viel Kraft abverlangen würden. Es werde jedoch keine grundsätzlichen Änderungen geben. Die neue deutsche Regierung sei sehr an guten Beziehungen mit Russland interessiert. Den bilateralen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland werde nach wie vor größte Bedeutung beigemessen: Sie seien keine Alternative, sondern ein Motor der engen Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland.

2. Zusammenarbeit zwischen der EU und Russland
Das nächste Diskussionsthema war der Zustand der Zusammenarbeit zwischen der Europäischen Union und Russland, den viele Redner als unzureichend kritisiert haben. Es wurde darauf aufmerksam gemacht, dass die strategische Ausrichtung, die Rolle und Funktion Russlands in der EU-Tätigkeit unklar bleiben. Sei langfristig ein EU-Beitritt Russlands möglich? Oder handle es sich um eine Partnerschaft, ähnlich der Partnerschaft zwischen der EU und den USA? Oder es werde zu einer Integration ohne Mitgliedschaft kommen? Bei der Bestimmung der Parameter der Kooperation müsse berücksichtigt werden, dass ihre Möglichkeiten weit über den Rahmen der Nutzung des russischen Rohstoffpotentials hinausgingen.

Im Jahre 2007, während der Präsidentschaft Deutschlands im Europäischen Rat, werde die Frage nach einer Verlängerung des „Abkommens über Partnerschaft und Zusammenarbeit“ (PKA) zwischen der EU und Russland auf der Tagesordnung stehen. Als Berater, Korrektor und Quelle von Impulsen sei der Petersburger Dialog berufen, diese Anlässe zu nutzen, um sich im kommenden Jahr intensiv mit dem PKA-Thema zu befassen und möglichst konkrete Vorschläge und Empfehlungen für die deutsche und die russische Regierung zu formulieren.

Davon ausgehend, wurde für die Arbeitsgruppe „Politik“ für 2006 folgendes Thema vorgeschlagen:
„Ziele und Perspektiven der Beziehungen und der Kooperation zwischen der EU und Russland nach 2007“.

Als eventuelle Diskussionsthemen wurden folgende genannt:
• Hauptziele der Kooperation EU-Russland?
• Veränderungen in der Außenpolitik der EU nach ihrer Erweiterung?
• Die Perspektiven der Zusammenarbeit solle man am Beispiel konkreter Situationen im Bereich der internationalen Beziehungen erörtern, einschließlich der Thematik der „eingefrorenen“ und „heranreifenden“ Konflikte, der demografischen Probleme, der Migration und deren Ursachen und Konsequenzen, der Einwirkung der Globalisierung auf die moderne Zivilisation, der Entwicklung der Informationsgesellschaft u.a.m.

3. Entwurf eines neuen russischen Gesetzes über die Regulierung der Aktivitäten der Nichtregierungsorganisationen
Zu diesem Thema gab es eine offene, intensive,manchmal scharfe, jedoch konstruktive Diskussion. Die deutschen Teilnehmer verwiesen auf die potentiellen negativen Auswirkungen der Verabschiedung dieses Gesetzes und die Kritiken, die in diesem Zusammenhang von russischen Nichtregierungsorganisationen geäußert würden. Zugleich wurde vor übereilten Einschätzungen gewarnt und darauf hingewiesen, dass auch Deutschland die Tätigkeit einiger NGOs (Scientologen, einige islamische Organisationen) einschränke. Russische Teilnehmer stellten fest, dass die Finanzierung aus ausländischen Quellen manchmal genutzt werde, um die Politik zu beeinflussen, was die Stabilität im Lande gefährden könne. Sie lenkten die Aufmerksamkeit der Teilnehmer auf die Erläuterungen der russischen Regierung, die von ihrem Streben zeugten, die Entwicklung der Zivilgesellschaft in Russland zu fördern. Die Diskussionsteilnehmer brachten die Meinung zum Ausdruck, es werde nützlich und zweckmäßig sein, die Erörterung des Gesetzentwurfes in der Staatsduma und in der Gesellschaftskammer fortzusetzen. Zum Abschluss wurde die Erwartung geäußert, dass das neue Gesetz der Tätigkeit der Nichtregierungsorganisationen keinen Schaden zufügen werde.