Sitzung der AG Ökologische Modernisierung beim 15. Petersburger Dialog in St. Petersburg, 14.-15. Juli 2016

Kurzbericht (Kein Protokoll, sondern eine Zusammenfassung der Diskussion & der Ergebnisse) der AG Ökologische Modernisierung.

Ralf Fücks / Sergey Zyplenkov

Für die neu eingerichtete Arbeitsgruppe „Ökologische Modernisierung“ wurde die Sitzung in St. Petersburg zur Auftaktveranstaltung. Die Teilnehmerliste liegt bei (auf deutscher Seite konnte knapp die Hälfte der Mitglieder den Termin einrichten, auf der russischen Seite konnte ein Vertreter nicht teilnehmen).

Tagesordnung:
1. Selbstverständnis und Ziele der Gruppe, Vorstellungsrunde
2. Was folgt aus dem Klimaabkommen von Paris für Russland und Deutschland?
3. Energiepolitik mit einem besonderen Akzent auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien
4. Ressourcenökonomie und Kreislaufwirtschaft
5. Kurze Übersicht zur ökologischen Situation der Ostsee / ökologische Bewertung von Northstream II
6. Weitere Arbeitsplanung

Ausgangspunkt der Diskussion war das Klimaabkommen von Paris, das aus der Sicht der Teilnehmer der Arbeitsgruppe einen Durchbruch in der internationalen Umweltpolitik bedeutet. Zum ersten Mal verständigte sich die Staatengemeinschaft auf das Ziel, die Erderwärmung auf maximal 2 Grad und möglichst 1,5 Grad zu begrenzen, damit der Klimawandel keine katastrophalen, nicht mehr zu steuernden Ausmaße erreicht. Bis spätestens Mitte des Jahrhunderts soll der Übergang zu einer klimaneutralen Ökonomie erreicht werden, die nicht mehr Treibhausgase ausstößt als von den ökologischen Senken (Meere, Böden, Wälder) resorbiert werden kann.

Neu am Pariser Klimaabkommen ist auch ein verbindlicher Überprüfungsmechanismus, der alle Unterzeichnerstaaten verpflichtet, nationale Klima-Aktionspläne aufzustellen, die einem internationalen Monitoring unterzogen und in 5-Jahres-Schritten weiterentwickelt werden sollen. Dazu kommt ein Klimafonds, der v.a. von den hochentwickelten Industriestaaten gespeist werden soll, um CO2-Reduktion sowie Anpassungsmaßnahmen (mitigation & adaptation) in den Entwicklungsländern zu finanzieren. Die Frage blieb offen, wieweit Russland in diesen Fonds einzahlt.

Während in Deutschland ein „Klimaaktionsplan – 2020“ vorliegt und eine Klimastrategie 2050 im Herbst dieses Jahres verabschiedet werden soll, gibt es in Russland bisher keine langfristig angelegtePolitik zum Kampf gegen die Klimaveränderungen . Die AG nimmt sich vor, einen Beitrag zur Entwicklung entsprechender Strategien zu leisten und dazu einen deutsch-russischen Austausch zu organisieren.

Die offiziellen Klimaziele Deutschlands sehen aus wie folgt: Senkung der Treibhausgas-Emissionen gegenüber dem Niveau von 1990 um 40 % bis 2020 (EU: 20 %), 55 % bis 2030 (EU: 40%), 80 – 95% bis 2050 (EU: dito). Hauptinstrumente: a) Europäisches CO2-Emissionshandelssystem ETS, b) Steigerung Energieeffizienz in allen Sektoren, c) Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Ziel eines klimaneutralen Energiesystems.

Dabei ist das ETS-System dringend reformbedürftig, um Lenkungswirkung zu entfalten (Herausnahme von Zertifikaten im großen Stil). Die Steigerung der Energieeffizienz bleibt bisher v.a. im Verkehrs- und Gebäudesektor hinter dem notwendigen Wachstumstempo zurück. Dagegen übertrifft der Ausbau erneuerbarer Energien die bestehenden Voraussagen. Begünstigt wird diese Entwicklung von einer drastischen Kostenreduktion für Photovoltaik – und Windstromanlagen in Größenordnungen zwischen 60 und 80 Prozent innerhalb der letzten fünf Jahre.

Dennoch sind CO2-Emissionen im Stromsektor aufgrund der Substitution von Atomstrom durch Kohlestrom, aber auch aufgrund wachsender Kohlestrom-Exporte kaum gesunken. Der schrittweise Ausstieg aus der Kohleverstromung ist die nächste große Herausforderung der Energiewende in Deutschland. Gleichzeitig muss ein neues Strommarktdesign entwickelt werden, das eine hinreichende Finanzierung für Neuinvestitionen in Erzeugung, Netze und Stromspeicher sichert.

Die offiziellen Ziele Russlands bei der Erhaltung des Klimas sehen vor: eine Verringerung des Ausstoßes von klimaschädlichen Gasen um 30 Prozent bis 2030, gemessen am Stand von 1990. Heute beträgt die Verringerung des Ausstoßes gegenüber 1990 bereits 42 Prozent, was bedeutet, dasss Russland in den kommenden Jahren seinen Ausstoß gegenüber dem heutigen Stand noch erhöhen kann.

Die Entwicklung des Anteils erneuerbarer Energien an der Stromproduktion 2004-2014 sieht wie folgt aus:
Russland: 17% ->17%, wobei die erneuerbare Energie fast vollständig durch große Wasserkraftwerke abgedeckt wird.
Deutschland: 10% -> 26% (aktuell 30%).

Der Ausbau Photovoltaik / Windstrom in Russland wird durch verschiedene Faktoren gebremst: kein hinreichendes Fördersystem, erhebliche Überkapazitäten bestehenden Kraftwerkspark, Image erneuerbarer Energien als „Kinderkram“. Russland fällt sowohl bei der Entwicklung erneuerbarer Energien wie hinsichtlich seiner Energieeffizienz weit hinter seine wichtigsten ökonomischen und geopolitischen Nachbarn zurück: die EU und China. Das „Reich der Mitte“ ist inzwischen weltweit führend im der Entwicklung erneuerbarer Energien und unternimmt große Anstrengungen im Bereich g der Energieeffizienz (auch im Gebäude- und Transportsektor). Falls Russland an seiner einseitigen Ausrichtung auf die Förderung und den Export fossiler Energieträger (Öl, Gas, Kohle) festhält, wird das Land ökonomisch immer weiter zurückfallen.

Zentraler Punkt in der Diskussion war die Wechselwirkung zwischen Klimaschutz und Ökonomie. Wenn die in Paris vereinbarten klimapolitischen Ziele erreicht werden sollen, ist ein tiefgreifender Strukturwandel nötig, der einer neuen (grünen) industriellen Revolution gleichkommt. Im Zentrum der Transformation zu einer klimaneutralen Ökonomie stehen zwei Herausforderungen:

(1) Die Dekarbonisierung von Wirtschaft und Gesellschaft, d.h. die schrittweise Ablösung von Kohle, Öl und Gas durch erneuerbare Energien und nachwachsende Rohstoffe.
(2) Die Entkopplung des Wirtschaftswachstums vom Ressourcenverbrauch und Emissionen.

Beide Prozesse bedingen einander. Sie erfordern eine umfassende Neuausrichtung des Energiesektors, des Transportsystems, des Städtebaus, der Landwirtschaft und der Industrie. Dazu gehört auch der Übergang zu einer ökologischen Kreislaufwirtschaft, in der alle Reststoffe wieder in die landwirtschaftliche oder industrielle Produktion zurückgeführt werden („Zero Waste Economy“).

Die AG wird in ihrer weiteren Arbeit das Thema Kreislaufwirtschaft / Ressourceneffizienz wieder aufgreifen.

Im Zuge der Dekarbonisierung wird die Nachfrage nach fossilen Energieträgern drastisch zurückgehen. Wenn die CO2-Konzentration in der Atmosphäre auf maximal 450 ppm gehalten werden soll, müssen 80% der weltweiten erforschten Kohlevorräte, 50% der Öl- und 30% der Gasvorkommen im Boden verbleiben. Das bedeutet eine langfristige Entwertung dieser Vorräte. Damit wird auch dem gegenwärtigen Geschäftsmodell Russlands der Boden entzogen. Die ökologische Modernisierung der Wirtschaft und der Übergang zu einem wissensbasierten Wachstumsmodell sind unausweichlich, wenn Russland den Anschluss an die moderne Weltwirtschaft halten will.

Die Spekulation, dass Deutschland mit dem Ausstieg aus der Kernkraft und der Kohle in steigendem Umfang auf russisches Erdgas angewiesen sein werde, wird nicht aufgehen. Rund 80 Prozent der deutschen Erdgas-Importe werden für das Heizen und Kühlen von Gebäuden gebraucht, lediglich 10 Prozent gehen in die Stromproduktion. Mit wachsender Energieeffizienz (bis hin zu Energie-Plus-Gebäuden, die mehr Energie erzeugen als sie verbrauchen) wird der Erdgasverbrauch kontinuierlich sinken. Das wird auch durch eine vorübergehende Ausweitung von Gaskraftwerken im Stromsektor nicht ausgeglichen werden, zumal sich neue Technologien wie „Power to Gas“ (Umwandlung von überschüssigem Regenerativstrom in Wasserstoff / Methan) anbahnen.

Damit stellt sich auch die Frage nach der energiewirtschaftlichen und energiepolitischen Notwendigkeit des Pipeline-Projekts „Northstream II“, auch mit Blick auf die angestrebte „Europäische Energieunion“, zu deren Zielen eine stärkere Diversifizierung von Energieträgern und Lieferströmen gehört. Davon unabhängig muss eine Umweltverträglichkeitsprüfung für dieses Projekt nach den höchsten Standards durchgeführt werden, insbesondere wegen des geplanten Streckenverlaufs durch ein ökologisch sensibles Naturschutzgebiet (das staatliche Naturschutzgebiet Kurgalskij, das unter die Konvention über Feuchtgebiete, die vor allem als Lebensort von Seevögeln internationale Bedeutung haben (Ramsar-Konvention), und unter die Konvention zum Schutz der Meeresumwelt des Ostseegebietes fällt).

Parallel wird auch die Nachfrage nach Erdöl im Zuge der Elektrifizierung des Verkehrs sowie der Substitution von ölbasierten Kraftstoffen durch Biotreibstoffe der zweiten und dritten Generation abnehmen.

Wie die Dekarbonisierung der russischen und deutschen Volkswirtschaft in Richtung einer bewältigt werden kann, welche Herausforderungen und Chancen sich auf diesem Weg ergeben und welche Instrumente dafür eingesetzt werden müssen, wird eines der zentralen Themen der AG Ökologische Modernisierung sein. Dazu soll als nächster Schritt ein gemeinsames Seminar mit russischen Ökonomen stattfinden, um Strategien auf diesem Weg zu erörtern, evtl. mit Unterstützung des BMU.

Weitere Verabredungen:

1) Das nächste Treffen der AG ist im Herbst, voraussichtlich November, geplant (Terminvorschlag und Ort folgen). Es scheint sinnvoll, die reguläre Arbeitsgruppen-Sitzung mit einem Seminar zu den Potentialen ökologischer Modernisierung der russischen und deutschen Wirtschaft zu kombinieren, zu dem Wirtschaftswissenschaftler aus beiden Ländern eingeladen werden sollen (also ein zweitägiges Treffen anzusetzen).
Themen der AG-Sitzung: 1. Klimastrategie Deutschland 2050 / Klimaaktionsplan Russland, 2. Bewertung „Northstream II“ unter Naturschutz- und energiepolitischen Gesichtspunkten.

2) Voraussichtliche Themen für folgende Seminare (Termine und Orte werden später festgelegt):
– Energieeffizienz – Ziele und Instrumente (Strom, Wärme, Verkehr)
– Deutsch-Russische Umwelt-Kooperation, Programme und Projekte
– Ressourcenökonomie und Kreislaufwirtschaft
– Bioökonomie: Nachhaltigkeits-Kriterien, Risiken, Chancen
Weitere Themen siehe „Mission Statement“ für die AG

3) Arbeitsweise:
– Keine langen Referate, sondern kurze Inputs zum jeweiligen Thema mit klaren Schlussfolgerungen
– Die Langfassung der Vorträge / PP-Präsentationen sollen vorab verschickt werden
– Keine bloßen Informationsrunden, kein bloßer Meinungsaustausch, sondern Zuspitzung auf die berühmte Frage „Was tun?“
– Vorab können Informationsfragen zu den Themen der nächsten Sitzung verschickt werden, die nach Möglichkeit von den jeweiligen Experten beantwortet werden
– Einrichtung einer Mailing-Gruppe für die Kommunikation zwischen den Sitzungen (in Englisch)

15. Petersburger Dialog, Teilnehmer der Arbeitsgruppe
Juli 14 – 16, 2016

Russische Delegation
Sergey Tsyplenkov
Igor Baschmakow
Igor Schkradjuk
Anatoli Kopylow
Michail Durkin
Boris Schönfeld
Wladimir Tschuprow
Alexej Kisseljow
Anna Garkuscha
Michail Julkin

Deutsche Delegation
Ralf Fücks
Johannes Voswinkel
Sabine Nallinger
Felix Matthes
Regine Guenter
Tom Kirschey
Philipp Nießen