Sitzung der AG Kirchen in Europa auf dem 9. Petersburger Dialog in München, 14.-16. Juli 2009

Die Arbeitsgruppe Kirchen hat sich in diesem Jahr mit der Frage befasst, welchen Beitrag die Kirchen zur Entwicklung einer gerechten, nachhaltigen und menschenwürdigen Wirtschaftsordnung leisten können. Ausgangpunkt der Beratungen war die Feststellung, dass die gegenwärtige globale Finanz- und Wirtschaftskrise nicht nur in ökonomischer, politischer und soziokultureller, sondern auch in kirchlicher Hinsicht eine Herausforderung darstellt.

Schon im Eröffnungsplenum wurde festgestellt, dass es Werte gibt, die jenseits von Angebot und Nachfrage liegen und dass es entsprechend Institutionen braucht, die noch andere als finanz- oder wirtschaftspolitische Dimensionen ins Gespräch bringen können. Die Kirchen sehen in diesem Zusammenhang ihre Aufgabe darin, in Anknüpfung an die prophetische Tradition die Ursachen für die gegenwärtige Krise zu benennen und zur Umkehr zu rufen – ein Ruf, der die Kirchen selbst mit einschließt. Ferner haben die Kirchen in Wahrnehmung ihrer diakonischen Verantwortung sich der Menschen anzunehmen, die Opfer der Krise geworden sind.

Im Einzelnen wurde dargelegt und diskutiert, welche ethischen Maßstäbe angesichts gegenwärtiger Tendenzen der Globalisierung (im Sinne einer Explosion weltweiter wechselseitiger Abhängigkeiten) leitend sein sollen. Da die Intensivierung des weltwirtschaftlichen Handelns nicht automatisch zu einer Entwicklung führt, an der alle gleichermaßen teilhaben, ist aus kirchlicher Sicht die unantastbare Würde eines jeden Menschen für eine Ethik des Welthandels neu zur Geltung zu bringen. Grundlegende Voraussetzungen dafür aber sind Chancengerechtigkeit, Bedarfsgerechtigkeit und Verfahrensgerechtigkeit, drei sich wechselseitig bedingende und ergänzende Gerechtigkeitsforderungen.
Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt war das christliche Verständnis von Eigentum. Eigentum ist demnach als Gabe Gottes zu verstehen, das Menschen und Gruppen treuhänderisch anvertraut ist und das sich darin bewähren soll, anderen Menschen zugute zu kommen. Dementsprechend ist Reichtum positiv nicht als ungebremste Akkumulation von Kapital zu verstehen, sondern als das Vermögen, die eigenen (auch materiellen) Mittel zum Wohle aller und damit zur Ehre Gottes einzusetzen.
Festgestellt wurde schließlich, dass es grundsätzlich weniger ein Wissens- und Regelungsdefizit, als vielmehr ein Durchsetzungsdefizit gibt, dass also Organisationen oder Strukturen fehlen, die bestimmte Selbstverpflichtungen, die es bereits (in Gestalt beispielsweise von UN-Konventionen) gibt, auch durchzusetzen vermögen. Die Kirchen sehen in diesem Zusammenhang ihre Möglichkeiten, Einfluss zu nehmen, in Folgendem: sie sind gesellschaftlicher Akteur, indem sie das prophetische Wort gegenüber den eigenen Anhängern wie der Gesellschaft insgesamt verkünden (in Predigten, Denkschriften, Enzykliken etc.); sie sind politischer Akteur, indem sie auf nationaler wie internationaler Ebene in politischen Organisationen präsent sind; sie sind diakonischer Akteur, indem sie über ihre kirchlichen Werke konkret Entwicklungshilfe leisten. Vor allem aber gilt: die Kirchen, indem sie Gottesdienst feiern und auf das Gottesreich hinweisen, helfen zugleich auch den Menschen, aus verschiedenen Abhängigkeiten frei zu werden und sich für eine menschengerechte und nachhaltige Weltordnung einzusetzen.