Sitzung der AG Bildung und Wissenschaft beim 2. Petersburger Dialog, Weimar, 8.-10. April 2002

Auf dem 2. Petersburger Dialog in Weimar befasste sich die Arbeitsgruppe mit den Themenressorts „Jugendaustausch“, „Bildung und Wissenschaft“ sowie thematisch übergreifenden Fragen.

Vorbemerkung

Im Bereich der Deutsch-Russischen Zusammenarbeit gehören der Jugendaustausch und die Kooperation in Bildung und Wissenschaft von jeher zu den gestaltenden und tragenden Elementen der Beziehungen. Sie haben für die Zukunft beider Länder größte Bedeutung und hohe Priorität. Trotz deutlicher qualitativer und quantitativer Steigerungen ist eine Weiterentwicklung auch im Hinblick auf ein sich erweitendes Europa wünschenswert und in Planung.

1. Teil: Jugendaustausch

Der sehr gewinnbringende Schüleraustausch, insbesondere im Bereich der Schulpartnerschaften zwischen Deutschland und Rußland ist derzeit quantitativ unzureichend. Die Arbeitsgruppe empfiehlt deshalb eine Verdoppelung des derzeitigen Volumens auf rund 250 Schulpartnerschaften in den nächsten fünf Jahren anzustreben, weil der Jugendaustausch ein wichtiges Potential zur Entwicklung der Zivilgesellschaften darstellt.

Wünschenswert ist eine Einbeziehung weiterer Regionen in den Austausch sowie die gezielte Unterstützung von Jugendlichen, die bislang keinen Zugang zu diesen Programmen haben.

Im Bereich der außerschulischen Jugendarbeit würdigt der Petersburger Dialog die bisherigen Projekte, die sehr oft Grundlage für die spätere intensive Befassung mit dem jeweils anderen Land sind. Es wäre jedoch wünschenswert, wenn bei der nächsten Veranstaltung des Dialoges über eine regional ausgewogenere Planung der Maßnahmen und eine größere Kontinuität berichtet werden könnte.

Die Arbeitsgruppe begrüßt, dass in der fachlichen jugendpolitischen Zusammenarbeit Fragen von großer sozial- und gesellschaftspolitischer Relevanz aufgegriffen werden. Dieses trägt zur Stärkung nicht nur von sozialer Kompetenz und zur Qualifizierung der Arbeit in den jeweiligen Sektoren bei, sondern auch zur Veränderung des gesellschaftlichen Bewußtseins der Jugend. Deutsche und russische Einrichtungen verfügen in ihren jeweiligen Bereichen über langjährige Erfahrungen. Durch Austausch dieses Wissens könnte eine deutliche Verbesserung der Situation der betroffenen Jugendlichen erreicht werden.

Die Zusammenarbeit russischer und deutscher Einrichtungen in den Bereichen der Jugendsozialarbeit ist stark ausgerichtet auf die Prävention von Drogen- und Alkoholmissbrauch sowie Jugendkriminalität, Arbeit in den sozialen Brennpunkten und mit Migrationsgruppen. Programme, wie sie z. B. der Internationale Bund (IB) und das Christliche Jugenddorfwerk Deutschlands (CJD) durchführen, zur Berufsorientierung und zur Integration in das Berufsleben, sind Instrumente, um diesen Problemen zu begegnen.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt unter dem Dach des Petersburger Dialoges noch in diesem Jahr eine Konferenz zu den vielschichtigen Themen des Jugendaustausches durchzuführen und dabei das besondere Augenmerk auf längerfristig angelegte, nachhaltige Projekte zu legen.

Teil: Bildung und Wissenschaft

Die akademische Zusammenarbeit gehört seit Jahrhunderten zu den stabilsten Elementen der bilateralen Beziehungen. Trotz deutlicher Erweiterung in den vergangenen Jahren hat die Zusammenarbeit noch längst nicht ihre maximale Breite und Tiefe erhalten. Die Arbeitsgruppe empfielt deshalb eine Verdoppelung der Austauschzahlen im Bereich der Studenten, der Nachwuchsakademiker und eine verstärkte Förderung der Doktorandenprogramme.

Dabei sollte ein weiteres Ziel sein, das derzeitige Ungleichgewicht durch signifikante Steigerung der deutschen Teilnehmer am Austausch zu beseitigen. Dies könnte durch Mobilisierungs- und Marketingkampagnien der russischen Hochschulen in Deutschland sowie durch neue attraktive Studienangebote in Russland erreicht werden.

Die Arbeitsgruppe begrüßt nachdrücklich die Pläne in Moskau und Petersburg mit Unterstützung des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) zwei Zentren für Deutschland- und Europastudien in den Fächern Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften einzurichten, die auch Beratungsmassnahmen in diesen Bereichen koordinieren können.

Als ebenso wichtig werden die von der ZEIT-Stiftung und der Krupp-Stiftung geplante Einrichtung eines Deutschen Historischen Instituts in Moskau, eines Russisch-Deutschen Institutes für nichtideale und staubige Plasmen in Moskau und Garching und einer kooperativen Fakultät für angewandte Polar- und Meereswissenschaften an der Staatlichen Universität St. Peterburg, dem Alfred Wegener Institut für Polar- und Meeresforschung in Bremerhaven, dem Wissenschaftszentrum GEOMAR in Kiel und der Universität Bremen, eingeschätzt.

Einen wichtigen Pfeiler gegenseitiger wissenschaftlicher Kenntnis und andauernder Verständigung stellen gemeinsame Forschungsprojekte im geistes- wie im naturwissenschaftlichen Bereich dar. Hier gilt es vor allem junge Forscherinnen und Forscher zusammen zu bringen.

Um die gemeinsame deutsch-russische Forschung, insbesondere von jungen Forschern, wirksam zu unterstützen, empfiehlt die Arbeitsgruppe, die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) bei der Einrichtung von weiteren internationalen Graduiertenkollegs zu unterstützen. Das Gleiche gilt für die Einrichtung von Sonderforschungsbereichen. Erwähnenswert ist darüber hinaus insbesondere die Zusammenarbeit im Rahmen des russisch-deutschen Labors bei BESSY II, deren längerfristige Finanzierung gesichert werden sollte. Die geplante Kooperation zwischen dem Wissenschaftszentrum „Peterhof“ und dem Wissenschaftsstandort Berlin / Adlershof wird begrüßt. Diese Projekte dienen in besonderer Weise der Unterstützung des Technologietransfers und sind damit beispielhaft für andere Bereiche.

Zu unterstreichen sind auch die zahlreichen Förderprogramme der Alexander von Humboldt-Stiftung sowie die Kooperationsmöglichkeiten im Bereich der international Max Planck Research Schools.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt insbesondere Projekte, die sich durch Langfristigkeit und Nachhaltigkeit auszeichnen, zu fördern. Dazu gehören auch Projekte der angewandten Wissenschaft, wie z. B. gemeinsame Projekte aus dem Bereich des Technologietransfers bis hin zur Förderung von Existenzgründungen.

Die Einrichtung von neuen Projekten darf jedoch nicht zu einer Vernachlässigung früher geförderter Aktivitäten gehen. Außerdem ist zu beachten, dass Programme so gestaltet werden sollen, dass eine Förderung hin bis zu 10 bis 12 Jahren für ein und das selbe Projekt möglich wird, wenn die Zwischenevaluierungen positiv waren.

Teil: Übergreifendes aus der Arbeitsgruppe

Die intensive Förderung der Fremdsprachenkenntnisse im jeweils anderen Land ist für die künftige aktive Kommunikationsfähigkeit zwischen den Kulturen beider Länder unabdingbar. Obwohl in Rußland 20% der Personen leben, die im Ausland Deutsch lernen, ist der Anteil der Deutsch Lernenden in Rußland im letzten Jahrzehnt massiv zurück gegangen. Ebenso ist auf deutscher Seite die Zahl der Russisch Lernenden deutlich rückläufig. Dieser Trend ist für die bilateralen Beziehungen auf Dauer abträglich. Es sollen deshalb Wege gefunden werden, die Sprachkompetenz in der jeweils anderen Sprache generell zu steigern und auch im Bereich der Fachsprachen zu verbessern.

Die Arbeitsgruppe empfiehlt der deutschen Kultusministerkonferenz beim Frühstart der Fremdsprache in der Grundschule und bei der anstehenden Neuordnung des Sprachenunterrichts die russische Sprache angemessen zu berücksichtigen. Initiativen zur Förderung der Sprachkompetenz, wie zum Beispiel durch das deutsch-russische Jugendforum oder das Konzept „DeutschPunkt“, in die Schüler, Studierende Auszubildende und junge Berufstätige einbezogen werden sollten, sind ausdrücklich zu begrüßen.

Die Arbeitsgruppe spricht sich für einen deutsch-russischen Schulbuchvergleich z. B. durch das Georg-Eckert-Institut aus und befürwortet die Einrichtung einer Arbeitsgruppe zur Entwicklung und Evaluierung von Sprachlehrmaterialien zum Deutschen und Russischen.

Für die Mobilität zwischen beiden Ländern sind die Voraussetzungen für die Anerkennung von Studienzeiten, Zeugnissen, Diplomen und akademischen Graden von großer Bedeutung, so dass der Petersburger Dialog an die zuständigen Stellen in beiden Richtungen den Appell richtet, zu prüfen, ob in Fortsetzung der gemeinsamen Erklärung von Kultusministerkonferenz / Hochschulkonferenz und russischem Bildungsministerium vom Februar 1999 eine Fortschreibung des Übereinkommens erreicht werden kann.
Zunächst wäre wünschenswert, die führenden russischen Hochschulen aus Moskau und St. Petersburg in die Liste der Kultursministerkonferenz der anerkannten Hochschulen aufzunehmen, deren Hochschulgrade in Deutschland geführt werden dürfen.

Es wäre wünschenswert, wenn das komplizierte Visaverfahren, das einem lebendigen Austausch im Wege steht, vereinfacht werden könnte. Dabei sollten sich beide Seiten darauf verständigen, die entsprechenden Visa, wie im außerschulischen Jugendaustausch, gebührenfrei zu erstellen.

Die vorgeschlagenen Maßnahmen und Projekte können nur mit viel Engagement aller Beteiligten entwickelt und umgesetzt werden. Zudem ist aber auch Unterstützung der staatlichen Instanzen in zweierlei Form notwendig: zum Einen müssen unnötige Hindernisse für Austausch und Zusammenarbeit abgebaut werden, insbesondere bei Aufenthalts- und Arbeitsgenehmigungsfragen.

Zum Anderen braucht es auch Geld von dem alle wissen, dass es knapp ist. Der Petersburger Dialog regt deshalb an, Gelder aus der Bereinigung der deutsch-russischen Schuldenfrage dazu zu nutzen, dass diese Mittel einer Stiftung für Jugendprojekte und -programme zu gute kommen. Was wäre ertragreicher, als aus den Schulden der Vergangenheit das Kapital für die gemeinsame Zukunft aufzubauen? Die Arbeitsgruppe sieht es als Ermutigung an, dass sowohl Präsident Putin als auch Bundeskanzler Schröder ihre Sympathie für dieses Vorhaben geäußert haben, die Altschulden so zu verwenden, dass aus ihnen ein Kapital für die gemeinsame Zukunft wird.

Die Arbeitsgruppe schlägt vor, dass das zuständige Bundesministerium möglichst bald zu einem Arbeitstreffen zur Umsetzung dieser Initiative einlädt.

Um besonders ertragreiche Initiativen im Bereich der deutsch-russischen Zusammenarbeit entsprechend würdigen zu können, regt die Arbeitsgruppe die Stiftung eines Preises für hervorragende Projekte auf diesem Feld an. Die Preisverleihung sollte im Rahmen der jährlichen Veranstaltung des Petersburger Dialoges erfolgen.

Die Arbeitsgruppe dankt dem Lenkungsausschuß, insbesondere den beiden Vorsitzenden Peter Boenisch und Michael Gorbatschev, für die bisherige aktive Förderung des Jugendaustausches durch den Petersburger Dialog. Es wäre wünschenswert, diese Thematik auch zum zentralen Thema künftiger Veranstaltungen zu machen.

Prof. Dr. Wilfried Bergmann
Berichterstatter