Sitzung der AG Politik beim 3. Petersburger Dialog, St. Petersburg, 10.-12. April 2003

„Neue Herausforderungen im System der internationalen Sicherheit“. – In unmittelbarer Kontinuität des Weimarer Dialogtreffens, wo die Themenfelder Krisenprävention und vorausschauende Friedenspolitik auf der Tagesordnung gestanden hatten, befasste sich die Arbeitsgruppe Politik auf dem diesjährigen Forum mit den neuen Herausforderungen im System der internationalen Sicherheit.

Zur Vorbereitung der Gespräche in St. Petersburg hatte im Februar 2003 unter Beteiligung der deutschen und russischen Teilnehmer ein Vorbereitungsseminar in Berlin stattgefunden, auf welchem das Thema auf drei Problemstellungen fokussiert wurde:

  • Die globale Bedeutung regionaler Konflikte
  • Die Rolle Deutschlands und Russlands beim Aufbau von Nachkriegsordnungen im Nahen Osten
  • Zukünftige Agenda der deutsch-russischen Beziehungen

Die zeitliche Begrenzung der Arbeitstreffen erlaubte es indessen nicht, alle drei Gebiete gleichgewichtig zu behandeln. So wurden die vorbereiteten Statements zur Frage der Nachkriegsordnungen im Nahen Osten nicht vorgetragen. Mit Blick auf die zukünftige Agenda der gemeinsamen Beziehungen war es bedauerlich, dass auf deutscher Seite die Abgeordneten des Bundestages nicht teilnehmen konnten, insbesondere Gernot Erler, der erst kürzlich zum Koordinator für die deutsch-russischen Beziehungen ernannt worden war. Insgesamt zeichneten sich die Debatten dadurch aus, dass sie diszipliniert, auf hohem Niveau und mit breiter Beteiligung aller AG-Mitglieder geführt wurden.

Es war unausweichlich, dass die Diskussion der vorbereiteten Themenstellungen ganz im Zeichen des aktuellen Irak-Krieges stand. Dieser Konflikt hat über die Nahostregion hinaus längst eine weltpolitische Bedeutung erlangt. Mehrfach wurde die Befürchtung geäußert, das militärische Eingreifen der USA und der „Koalition der Willigen“ komme einem Präludium gleich, mit welchem eine neue Phase einer einseitigen Konfliktlösung mit militärischen Mittel eingeläutet werde. Darüber hinaus müsse auch mit einer abermaligen Rüstungsspirale gerechnet werden. Eine solche Reduzierung politischer Handlungsoptionen führe geradezu zwangsläufig dazu, grundlegende Konfliktursachen wie die Globalisierungsfolgen und die Armut großer Teile der Weltbevölkerung zu vernachlässigen.

In den Diskussionsbeiträgen wurde wiederholt die Frage aufgeworfen, ob nicht das Ende des kollektiven Sicherheits- und Ordnungssystems, wie es sich nach dem Zweiten Weltkrieg herausgebildet hat, konstatiert werden muss:

  • Stehen wir also am Anfang einer neuen Weltordnung?
  • Mit welchen Zielsetzungen und nach welchen Regeln wird sie sich formieren?
  • Wer sind die verantwortlichen Träger einer neuen funktionalen Ordnung in der Staatengemeinschaft?

Die Debatte über die Grundelemente einer zukünftigen Sicherheits- und vorausschauenden Friedenspolitik kann nicht nur auf der Ebene der Regierungen geführt werden. Sie muss gleichzeitig auch ein elementarer Bestandteil des zivilgesellschaftlichen Diskurses über die Perspektiven einer Interessen- und Wertegemeinschaft werden, deren Einheitlichkeit sich sogar mit Blick auf die westlichen Staaten in den letzten Monaten als Fiktion erwiesen hat.
Die regionalen Konflikte der vergangenen Jahre und der Gegenwart, so lautete eine viel diskutierte These, spielten die Rolle einer „Hebamme“ bei der Entstehung der neuen Weltordnung. Eine der Ursachen hierfür sei die Tatsache, dass der Kalte Krieg nicht mit einer umfassenden Friedensordnung beendet werden konnte, die eine Steuerung und Kontrolle der weltweiten Konfliktherde ermöglicht hätte. Im Gegenteil: Zu beobachten ist vielmehr eine neue Qualität von Konflikten, die durch Staatszerfall, Privatisierung und Kommerzialisierung von Gewalt gekennzeichnet sind und immer häufiger unterhalb der staatlichen Ebene geführt werden. Der Terrorismus ist ein Beispiel für den asymmetrischen Einsatz von Gewaltmitteln. Die mögliche Proliferation von Massenvernichtungswaffen verleiht dieser Entwicklung eine zusätzliche Dramatik. Regionale Konflikte bergen folglich ein hohes Risikopotenzial in sich, das ohne weiteres auf Drittstaaten übergreifen kann.

Es bestand kaum Dissens in der Einschätzung, dass multilaterale Herangehensweisen in der Sicherheitspolitik gestärkt werden müssten. Gleichzeitig wurde aber auch eine wenig konsistente Wahrnehmung regionaler Konflikte bemängelt. Angesichts der häufig zu beobachtenden Tatsache, dass recht unterschiedliche Wertmaßstäbe zugrunde gelegt würden, bestehe die Gefahr einer Glaubwürdigkeitslücke, die den Anspruch einer zivilen Lösung auf der Grundlage der Charta der Vereinten Nationen zu untergraben drohe.

Unterschiedliche Ansichten bestanden in der Frage, inwiefern die bestehenden Instrumentarien kollektiver Sicherheit ausreichen, um Bedrohungspotenzialen wirksam und präventiv entgegen zu wirken und gleichzeitig den Frieden zu bewahren. Hierbei differierten die Meinungen auch innerhalb der Delegationen nicht unerheblich:

  • Muss angesichts der neuen Herausforderungen über eine Legitimierung von Gewalt im allgemeinen und über die Formen von Legitimität und Legalität von Krieg im besonderen neu nachgedacht werden?
  • Welche neuen Regeln und Instrumentarien werden benötigt, um den sicherheitspolitischen Erfordernissen gerecht werden zu können?
  • Bietet das bestehende Völkerrecht eine tragfähige Grundlage, bzw. hinreichende Handlungsspielräume?

In der Arbeitsgruppe herrschte ein großer Konsens darüber, dass es eine der zukünftigen Aufgaben des Petersburger Dialogs sein könnte, gemeinsame Ideen herauszuarbeiten, wie Politik in diesen Bereichen gestaltet werden kann. Eine grundlegende Forderung müsse lauten, den unterschiedlichen Konfliktursachen mehr Aufmerksamkeit zu schenken und eine multilaterale Zusammenarbeit, verbunden mit einer Stärkung der Vereinten Nationen, bei der Lösung von Konflikten anzustreben. Die vorschnelle Fixierung auf Gewalt und Krieg verstelle den Blick auf alternative, zivile Herangehensweisen, sie setze auf das Recht des Stärkeren und nicht auf die Stärke des Rechts. Russland und Europa müssten in dieser Frage, so die einhellige Meinung, zukünftig enger zusammenarbeiten.

Um den Diskussionsprozess in der Arbeitsgruppe Politik des Petersburger Dialogs fortzusetzen, ist noch in diesem Jahr ein weiteres Arbeitstreffen in der Russischen Föderation geplant. Hierbei sollte auch darüber nachgedacht werden, zusätzliche Expertise in den Gebieten zivile Konfliktbearbeitung und Völkerrecht einzuholen.

Koordinatoren
Dr. Uwe Optenhögel, Direktor Internationaler Dialog, Friedrich-Ebert-Stiftung
Dr. Michail Margelow, Mitglied des russischen Föderationsrates

Berichterstatter
Thomas Held, Deutsche Stiftung Friedensforschung