Sitzung der AG Zukunftswerkstatt beim 11. Petersburger Dialog in Wolfsburg und Hannover, 17.-19. Juli 2011

„Fußball WM 2006 in Deutschland und 2018 in Russland – Wege zum positiven Patriotismus.“ Im ersten Panel der AG-Sitzung diskutierten die Teilnehmer darüber, wie Deutsche und Russen sich 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion und 20 Jahre nach der deutschen Wiedervereinigung sehen und wohin sich das Nationalbewusstsein beider Völker entwickelt. Was das Bild des anderen Volkes anbetrifft, so verbesserte sich das Bild Russlands in Deutschland zusehends in den letzten Jahren, so Prof. Dr. Manfred Güllner, Geschäftsführer von forsa. Russland wird als zuverlässiger Partner angesehen, unter anderem im Energiebereich. Gleichzeitig sei eine große Diskrepanz zwischen dem überwiegend positiven Russland-Bild der Bevölkerung und dem vorwiegend negativen „moralisierenden“ Russland-Bild der deutschen Medien zu verzeichnen.

Was das Selbstverständnis der jungen Deutschen anbetrifft, so sehen sich vielе Deutsche in erster Linie als Europäer, gefolgt von der Zugehörigkeit zur Geburtsregion und erst in dritter Linie als Deutsche. 80% der jungen Russen empfinden sich als Patrioten des eigenen Landes, allerdings trägt der Patriotismus eher einen gesellschaftlichen statt ethnischen oder religiösen Charakter. Als wichtigste Orientierungspunkte bezeichnen die meisten Respekt vor Traditionen und Familienwerte. Allerdings sind Russen in erster Linie auf ihre Geschichte und nicht auf die Gegenwart stolz (47% der Befragten), als herausragende Ereignisse des letzten Jahrhunderts werden mehrheitlich der Sieg im Großen Vaterländlichen Krieg und der erste bemannte Raumflug genannt. Die Selbstbefreiung vom totalitären System wird auch 20 Jahre nach dem Zerfall der Sowjetunion nicht als ein Ereignis angesehen, auf das man stolz sein soll, so Walerij Fedorow, Direktor des russischen Meinungsforschungsinstituts WZIOM.

Im zweiten Teil der Sitzung diskutierten die Teilnehmer, ob die Fußball-WM 2018 in Russland positive Impulse für die Entwicklung des nationalen Selbstbewusstseins liefern kann wie es die Fußball-WM in Deutschland 2006 getan hat. Und inwieweit die damit verbundenen Investitionen in die Infrastruktur für nachhaltige Entwicklung in betroffenen russischen Regionen sorgen werden.

Die WM in Russland könne zum ersten Ereignis nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion werden, auf das die Russen wieder stolz sein könnten. Sie könne dem Land einen bedeutenden Entwicklungsschub geben, so Ilja Ponomarew, Duma-Abgeordneter der Fraktion „Gerechtes Russland“. Allerdings nur, wenn wirtschaftliche und soziale Herausforderungen wie Korruption, marode Infrastrukturen, latente nationalistische Tendenzen und die Kluft zwischen Arm und Reich bewältigt würden. Ansonsten würde die Gesellschaft die WM als ein Elitenprojekt empfinden und im besten Fall mit Missachtung bestrafen, im schlimmsten Fall mit Krawallen darauf reagieren.

Der Erste stellvertretende Premierminister der Russischen Föderation, Wiktor Subkow, der ebenfalls an der Sitzung teilnahm, stimmte zwar zu, dass ein großer Handlungsbedarf im Vorfeld der WM besteht. Allerdings sieht er in der WM vor allem eine Chance, um dem Profi- und Massensport in Russland einen Ansporn zu geben, die Infrastruktur zu modernisieren und die Aufmerksamkeit auf die Entwicklung in den Regionen zu lenken.

An der AG-Sitzung nahmen zwei ehemalige Fußballprofis, Lutz Pfannenstiel und Silvio Meißner, teil. Sie berichteten von der Erfahrung und Schwierigkeiten der Organisation der Fußball-WM 2010 in Südafrika – einen Land, das, ähnlich wie Russland, den Fußballsport nicht so verinnerlicht hatte, wie es in Westeuropa der Fall ist. Darüber hinaus gaben sie dem anwesenden Mitglied des russischen Organisationkomitees, Alexander Dschordschadze, wertvolle Ratschläge, was im Einzelnen im Vorfeld der WM in Russland getan werden muss, damit nicht nur Sportfunktionäre, sondern auch die breiten Massen ein Gefühl von Verantwortung und Solidarität mit diesem Sportereignis entwickeln.

Das Thema Fußball-WM in Russland wird in den nächsten Jahren zu einem Schlüsselthema in den Beziehungen zwischen Russland und Deutschland werden. Vize-Premier Subkow begrüßte ausdrücklich den Vorschlag des deutschen Abgeordneten Franz Thönnes, russische Behörden bei der Prävention von Ausschreitungen gewaltbereiter Fußballfans zu beraten.