Begegnungsreise der AG Kirchen nach Moskau und St. Petersburg, September 2014

Deutsche Theologinnen und Theologen lernen Orthodoxe Kirche in Russland kennen. Vom 14. bis 21. September 2014 veranstaltete die Arbeitsgruppe „Kirchen in Europa“ des Petersburger Dialogs eine Begegnungsreise für deutsche Doktoranden und Studierende der Theologie, um die Russische Orthodoxe Kirche, insbesondere ihre theologischen Lehranstalten, näher kennenzulernen.

Das Programm begann am Montag, 15. September 2014, mit einem Besuch des Dreifaltigkeits-Sergius-Klosters in Sergijew Possad, das ca. 70 km nordöstlich von Moskau gelegen ist und als das geistige Zentrum der Russischen Orthodoxen Kirche gilt. Dort erhielt die Gruppe bei einer Museumsführung Einblick in die Geschichte der Moskauer Geistlichen Akademie, die dort beheimatet ist. Darüber hinaus besichtigte man Ikonen aus verschiedenen Jahrhunderten sowie zahlreiche Kunstwerke und lauschte den Chorproben der Mönche für die hl. Liturgie. Am Nachmittag stand ein Treffen mit Vater Wladyslaw Tsypin, Professor der Akademie, und ausgewählten Seminaristen auf dem Programm, von denen nicht wenige Deutsch als ordentliches Studienfach belegten. Dabei erhielten die Besucher die Möglichkeit, Fragen über das Leben vor Ort, den Aufbau des Studiums, aber auch sehr praktische Fragen, wie z. B. das tägliche Gebet, zu stellen. Ein Gespräch mit den Studierenden rundete das Treffen ab. Vor der Rückreise nach Moskau besichtigte die Gruppe noch die bedeutendsten Kirchen des Klosters, das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt.

Am Dienstag, 16. September, besuchte die Gruppe die 1992 gegründete Orthodoxe Geisteswis¬senschaftliche Sankt-Tichon-Universität. Nach einem herzlichen Empfang wurde sie zunächst über das Unigelände, durch die Lehrräume und die Bib¬liothek sowie die Kirchen der Universität geführt. Das anschließende Gespräch gab einen Einblick in die Organisation der Universität und den universitären Alltag von Lernenden und Lehrenden. Auch in den nichttheologischen Fächern der insgesamt 10 Fakultäten – wie etwa Philolo¬gie oder Wirtschaftswissenschaften – ist ein theologisches Basis-Programm Teil der Ausbildung. In der theologischen Ausbildung werden neben bekannten Teilgebie¬ten wie der Patrologie oder der Dogmatik weitere Schwerpunkte, etwa im Chorgesang und der Ikonenmalerei, gesetzt. Eine Besonderheit der Tichon-Universität ge¬genüber anderen geistlichen Bildungseinrichtungen in der Russischen Föderation ist die staatliche Anerkennung ihrer Ab¬schlüsse. Der Nachmittag war der „Wiege Moskaus“ gewidmet, dem Kreml. Im Zentrum der Besichti¬gung stand der überaus schöne Kathedralen-Platz und der Besuch der dortigen Kir¬chen, da¬runter die bedeutende Mariä-Entschlafens-Kathedrale. Der restliche Tag war eigener Gestaltung überlassen und wurde je nach Interesse auf dem Roten Platz und in der Basilius-Kathedrale, in der Tretjakow-Galerie oder auf ganz eigenen Wegen in Moskau verbracht.

Am Mittwoch, 17. September, besuchte die Gruppe die „Aspirantura“, das Doktorandenkolleg des Moskauer Patriarchats. Das seit fünf Jahren bestehende Kolleg wurde 2009 von Patriarch Kirill, als einer seiner ersten Amtshandlungen, gegründet. Nach einem herzlichen Empfang erläuterte der stellvertretende Leiter, Mönchspriester Ioann, die Zielsetzung des Kollegs, künftig als Kommunikator und Brücke zwischen geistlicher Welt und Gesellschaft zu interagieren. Nach einer Besichtigung der wiedererrichteten Christ-Erlöser-Kathedrale traf die Gruppe am Nachmittag in der Staatsduma mit Vertretern des Ausschusses für „Angelegenheiten der nichtstaatlichen und religiösen Organisationen“ zusammen. Michail Markelov (Einiges Russland) und Vitalij Zolochevskiy (LDPR) erläuterten das im Zuge des Pussy-Riot-Prozesses verfasste Gesetz „Über den Schutz der religiösen Gefühle“ sowie das Gesetz über die „nichtstaatlichen Organisationen“, das diese zur Registrierung und Offenlegung ausländischer Geldquellen verpflichtet. Die damit verbundene Inkriminierung als „ausländische Agenten“ wurde kontrovers diskutiert. Begleitet wurde der Besuch von Claudia Crawford, der Leiterin des Moskauer Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung, das die Reise finanziell und organisatorisch unterstützte.

Am Donnerstag besuchte die Gruppe das Sretinsky-Kloster und das dazugehörige Theologische Seminar im Zentrum Moskaus. Nach dem Besuch der Kirche, die die Ikone der Gottesmutter von Vladimir beherbergt, einem Nationalheiligtum Russlands, da sie zum Sieg über die Mongolen beigetragen haben soll, führten die Gastgeber durch die Arbeits- und Wohnräume des Theologischen Seminars, das durch eine hochmoderne Einrichtung beindruckte. Der Vizerektor Pavel V. Kuzenkov, der auch Lehrer für Kirchengeschichte ist, referierte über das Verhältnis von Staat und Kirche, wobei er eine Trennung favorisierte, die sich an der Frühzeit der Kirche orientieren solle. Während des gemeinsamen Mittagessens gab es einen regen Austausch mit den Studierenden des Seminars, der interessante Einblicke in das Leben im Seminar, aber auch in Moskau allgemein gab. Am Abend brach die Gruppe dann mit dem Schnellzug Sapsan (dt. Wanderfalke) nach St. Petersburg auf.

Der erste Tag in St. Petersburg begann mit der Teilnahme am Morgengebet in der Geistlichen Akademie sowie dem gemeinsamen Frühstück. Im Anschluss daran wurde die Gruppe durch die gesamte Akademie geführt und konnte das historische Museum des Hauses, die umfangreiche und wertvolle Bibliothek, die Aula sowie die kleine Kirche besuchen, die Johannes dem Theologen geweiht ist. Im Anschluss daran trafen sich die Theologinnen und Theologen aus Deutschland in den Lehrräumen mit Dozenten und Studierenden der Akademie, wo sie viel über die Ausbildung und das Leben an der Akademie erfuhren und die Gelegenheit hatten, Fragen zu stellen, aus denen sich ein reger Austausch entwickelte. Vor dem Mittagessen wurde noch die beeindruckende Alexander-Nevsky-Kirche besucht. Nach einem freien Nachmittag, den die meisten am Nevsky-Prospekt verbrachten oder eine Bootstour auf der Neva machten, stand abends das Ballett „Dornröschen“ im Michailovsky-Theater auf dem Programm.

Am Samstag besichtigte die Gruppe die bedeutendsten Kathedralen von St. Petersburg: Zunächst wurde die Gruppe von einem Gemeindemitglied durch die Kasaner-Kathedrale geführt, bevor es weiter zur Isaaks-Kathedrale ging. Nach der Führung durch die Kirche konnte die Gruppe von deren Kolonnaden einen spektakulären Ausblick über die Stadt genießen. Anschließend wurde die Bluterlöser-Kirche besichtigt, die nach dem Vorbild der Moskauer Basilius-Kathedrale an der Stelle errichtet wurde, an der Zar Alexander II. Opfer eines Attentats geworden war. Am Nachmittag standen weitere Begegnungen an: In der katholischen Katharinen-Kirche hatte die Gruppe die Möglichkeit zum Austausch mit einem der dort ansässigen Dominikaner, P. Zdislav. In einem sehr anregenden Gespräch machte sich die Gruppe mit der Situation einer katholischen Gemeinde in St. Petersburg vertraut. P. Zdislav betonte die besondere Situation der katholischen und evangelischen Christen in St. Petersburg, welche seit der Gründung der Stadt dort ansässig seien. Als ein weiteres Beispiel für christliches Leben in St. Petersburg wurde anschließend die evangelisch-lutherische Petri-Kirche besichtigt, welche seit über 300 Jahren die deutsche Gemeinde beherbergt. Am Abend konnte die Gruppe einen weiteren tieferen Einblick in das orthodoxe Glaubensleben erlangen, als sie am Abendgebet/Vigil der Orthodoxen Kirche in der Orthodoxen Geistlichen Akademie teilnahm.

Der letzte Tag der Studienreise fiel nach dem Kalender der russischen Kirche auf das Hochfest der Geburt der Gottesmutter. Der Hauptgottesdienst am Sonntagvormittag in der Peter-und-Paul-Kathedrale in Peterhof bot – wie schon der Vorabendgottesdienst in der Geistlichen Akademie – einen Einblick in die orthodoxe Liturgie und ins Gemeindeleben. Im Unterschied zur Dominanz junger Männer in der Akademie-Kirche am Vorabend fiel hier der hohe Anteil älterer Frauen auf. Die Teilnahme an der von drei Priestern ausgeteilten Kommunion war zahlreich. Nach dem Gottesdienst erfuhr die Gruppe bei einem opulenten Mittagessen im Gemeindehaus herzliche Gastfreundschaft, die nach russischer Tradition in Form von Trinksprüchen und Gesängen eindrucksvoll bekundet wurde. Den glanzvollen Abschluss der Reise bildete eine Führung durch Schloss Peterhof und den Schlosspark mit seinen einzigartigen Wasserspielen. Dabei gab es vielfältige Hinweise auf die auch kirchengeschichtlich interessanten historischen Beziehungen zwischen deutschen Adelshäusern und dem russischen Zarenthron.

Als großer Gewinn erwies sich hier wie bereits in St. Petersburg die Begleitung durch die russische Dolmetscherin, die zugleich zeitweise als Reiseführerin fungierte. Sie gab Auskunft über Kulturgeschichte, Alltagsleben und aktuelle politische Entwicklungen und stand auch bei organisatorischen Fragen immer hilfreich zur Seite. Ihre weibliche Perspektive war gerade im Kontrast zu den meist männlichen Gesprächspartnern in den verschiedenen theologischen Einrichtungen wertvoll. Bei dem von ihr geführten gemeinsamen Spaziergang durch den Schlosspark bot sich auch nach dem Ende der offiziellen Dialogveranstaltungen noch die Gelegenheit zum informellen Austausch. Insgesamt betrachtet kann man sich nur wünschen, dass diese vom Anfang bis zum Schluss gut durchdachte und bestens organisierte Studienreise bald eine Fortsetzung findet.